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F. v. Raumer: England.

hier (in England) als Hauptsache und die erste Pflicht. Daher
sucht der Presbyterianer sein Christenthum vorzugsweise in dem,
was ihn vom Episcopalen unterscheidet; der Episcopale in dem,
was er an den Dissenters verurtheilt, der Katholik in seiner Feind-
schaft gegen alle Ketzer. Man vergisst, dass die grössten und
redlichsten Anstrengungen niemals ganz gleiche Ueberzeugungen
hervorgetrieben haben und hervortreiben werden, dass die ewige
Wahrheit sich in den Gemütbern der Menschen verschieden ab-
spiegelt und abspiegeln darf, dass der eine mehr angeregt wird
von dem Dogma, der zweite von der Sittenlehre, der dritte durch
die Wunder, der vierte durch Einfachheit, der fünfte durch künst-
lerische Veredlung des Gottesdienstes. Warum sich wegen dieser
natürlichen, unaustilgbaren Verhältnisse anklagen und verfolgen,
ausschliessen und verurtheilen?-Das wesentlich Christliche
wird (in Deutschland) vorzugsweise gesucht und gefunden in dem,
worin alle Parteien übereinstimmen, und wo Verschiedenheiten ob-
walten (wie zwischen Lutheranern und Reformirten), hat man sie
nicht tyrannisch festgehalten oder beseitigt, sondern dem Kopf und
Herzen der Einzelnen das überlassen, was kein Zwangsge-
setz vorschreiben und wahrhaft erzeugen kann. So
gründet die Schule, statt Keime des Hasses einzupflanzen, schon
unter den Knaben verschiedener Bekenntnisse eine Freundschaft,
welche sie durch das ganze Leben festhalten; so ist es möglich
und nützlich geworden, auf denselben Universitäten (Breslau, Bonn,
Tübingen) eine Faculfät katholischer und eine Facultät protestan-
tischer Theologen neben einander zu stellen und der freien
Entwicklung des Geistes und der göttlichen Vorse-
hung mehr zu vertrauen, als einem Monopole mit tri-
denter^ augsburger oder englischen Artikeln.
Leider, dass, was hier Herr v. Raumer vor sieben Jahren so
schön und wahr über Deutschlands religiöse Zustände schrieb*
jetzt schon ganz der Vergangenheit angehört; leider, dass sein
Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist: Gott möge den
Deutschen diese Vorzüge bewahren und Liebe und
Eintracht, nicht aber Hass, als wesentliche Grund-
lage des Christenthums in unserm Vaterlande vor-
herrschen! Bekannt ist es, dass mit unseliger Hand wieder
an der so friedlich aufgebauten Union gerüttelt wird; bekannt,
dass jetzt in unsern Volksschulen und auf Universitäten in vielen
hegenden, dahin gearbeitet wird, die kirchlichen Unterscheidung®-
 
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