Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
89

Wegele: Dante’s Leben und Schriften,
Wir müssen aber hier noch Einiges aus dem äüssern Leben
Dante’s anführen, was uns der angeblichen sittlich-religiösen Ver-
irrung gegenüber in einige Verwunderung setzt. Beatrice starb
1290. Während der zwei letzten Jahre ihres Lebens war Dante
mit den kriegerischen Unternehmungen der Welfenparlhei vollauf
beschäftigt. Vorher, in der Zeit zwischen 1284—88 soll er in Bo-
logna seine Studien gemacht haben, welche, also noch zu Bea-
trice’s Lebzeiten, sein abtrünniges Forschen und Grübeln erzeugten,
während er selbst ausdrücklich sagt, dass er nach der Geliebten
Tod den hohen Werth der Philosophie habe kennen und schätzen
lernen. 1291, also ein Jahr nach jenem Todesfall; war er ver-
heyralhel, und erhielt von dieser Ehe sechs Kinder, doch natür-
lich alle vor seiner Verbannung aus Florenz 1302. Während jener
Zeit schloss er mit berühmten Künstlern und hohen Personen wie
Karl Martell innige Freundschaft. Zwischen 1292 97 setzt der
Verf. seinen Aufenthalt in Paris, wo er sicn schon als einen Mann
von grossen theologischen und philosophischen Kenntnissen bemerk-
lich machte. 1297 trat er in die Zunft der Speziali, somit in den
Staatsdienst, und zeigte sich sogleich als einen Mann, „der schon
viel über Politik nachgedacht und sich die reifste theoretische Be-
fähigung erworben hatte, wie Keiner seit Brunello Lalini.“ In die-
ser nämlichen Zeit berichtet nun diese neue Biographie, soll Dante
in der Gesellschaft mit Schlemmern und Wollüstlingen sittlich ver-
sunken und durch seine philosophischen Studien von dem wahren
und frommen Glauben abgeiallen seyn. Gehören hierher vielleicht
die vielen durchwachten Nächte, für welche Dante in der göttlichen
Kommödie sich nicht scheut, von den Musen den Lohn zu fordern?
Oder beziehen sich hierauf die theologischen Tugenden, wenn sie im
irdischen Paradies (Purg. XXXI, 133) der Beatrice zurufen, ihre
Augen nach ihrem treuen Dante zu richten, der um sie zu sehen
so viele Schritte gemacht habe? Sollte man im Angesicht aller jener
Thatsachen nicht viel natürlicher auf den Gedanken kommen, dass
die Krisis in Dante’s Leben, die freilich in die letzten Jahre des
13. Jahrh. fällt und von welcher er durch Virgil gerettet wird, eine
ganz andere sein müsse, dass sie in Beziehung zu dem stehen
müsse, was Dante zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat? War es
nicht viel natürlicher, ehe man die Meinung eines Andern geradezu
als unumstösslich annahm und das Leben Dante’s darnach zuschnitt,
erst zu prüfen, ob denn diese angebliche innere Seelengeschichte
eigentlich mit dem übereinslimmt, was Dante wirklich in seiner
Kommödia und im Convito gesagt hat; ob cs bei genauerer For-
schung möglich ist anzunehmen, dass Dante in der göttlichen Kom-
mödie nur seine eigene innere Seelengeschichte als Typus der
allgemeinen Menschengeschichte habe darstellen wollen; ob es ver-
ständig sei, anzunehmen, dass Dante seine philosophischen Studien
als einen Abfall von Gott, als ein sträfliches Erforschen der Wahr-
heit auf verbotenen Irrwegen bezeichnet habe, von dem ihn endlich
 
Annotationen