Nr. 25.
HEIDELBERGER
1854.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Gualterio: Rivolginienti italiaiii.
(Schluss.)
Gualterio beschreibt nicht diesen Kampf, er gehört in die Re-
gierungszeit Pius IX, bei welcher sein Buch bis jetzt noch abbricht.
Aber er schildert ausführlich, gewissenhaft und mit lebendigen Far-
ben das Wesen und die Zwecke einer Partei, die nach kurzer Unter-
brechung wieder den Zügel der Herrschaft in der Hand hält und
dieselbe in allen Ländern Europa’s wieder zu befestigen sucht, und
zugleich den Zustand des Landes unter der Regierung derselben,
die nach Gregor XVI benannt ist. Man kann, wenn man die Ge-
schichte des Lambruschinischen Regiments liest, den plötzlichen Jubel,
der wie ein elektrischer Schlag ganz Italien ergriff, begreifen, und
wie der immer zunehmende Enthusiasmus bei jedem neuen Aufath-
men zu menschlichem Daseyn und zu sittlicher Entwicklung zuletzt
alle Besonnenheit und Mässigung rauben und jene Entwicklung selbst
stören musste. Willkür in der Justiz, unsinnige Auslegung der Ge-
setze, Umstossung derselben durch geheime Circolare oder durch
Modificationen, welche für bestimmte Fälle rückwirkende Kraft hatten,
Verkäuflichkeit der Aeintcr an Leute, die durch Aussaugen des Volks
ihren Kaufpreis wieder zehnfach einbrachten, bezeichnen die Regie-
rung Lambruschini’s. Der Papst war nicht der Fürst seines Landes,
sondern er stand unter der Vormundschaft einer Oligarchie von sou-
veränen Kardinalen, die ihn ganz von dem Volk entfernten und ihn
kaum zugänglich machten. Nur unter der Bedingung, dass nichts
von Geschäften gesprochen würde, durften die Römer Audienz von
ihm erbitten. Die Macht der Minister war wieder nichts im Ver-
gleich mit der Macht ihrer Vertrauten und Untergebnen, welche die
Aemter verkauften. Wie sich das Volk dabei befand, lässt sich leicht
erklären; aber es hatte dazu noch seine individuellen Plagen. Wer
im Geruch eines Liberalen stand (und dazu gehörte nach dem Ur-
theil der Sanfedislen äusserst wenig}, der behielt keine Regierungs-
noch Municipalstelle, wenn er es ja gerathen fand in seiner Heimath
zu bleiben. Kein versprochenes Gesetzbuch wurde gegeben, son-
dern ein ganz erbärmliches regolamento für das peinliche Gerichts-
verfahren mit unbarmherzigen Strafen für das Vergehen der soge-
nannten Losa Maeslä, unter welcher alles Mögliche verstanden wurde.
Die Richter waren servil, aus Parthei oder aus Furcht. Die Poli-
zeibeamten waren mehr gefürchtet als die Strassenräuber, denn sie
standen mit den Cenlurionen, den grausamsten Verfolgern der Libe-
ralen im Bündniss. Sie rissen den Bürgern die Barthaare aus den
Lippen und dem Kinn, erlaubten den Liberalen nicht, auf die Jagd
LXVII. Jahrg. 3. Doppelheft. 25
HEIDELBERGER
1854.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Gualterio: Rivolginienti italiaiii.
(Schluss.)
Gualterio beschreibt nicht diesen Kampf, er gehört in die Re-
gierungszeit Pius IX, bei welcher sein Buch bis jetzt noch abbricht.
Aber er schildert ausführlich, gewissenhaft und mit lebendigen Far-
ben das Wesen und die Zwecke einer Partei, die nach kurzer Unter-
brechung wieder den Zügel der Herrschaft in der Hand hält und
dieselbe in allen Ländern Europa’s wieder zu befestigen sucht, und
zugleich den Zustand des Landes unter der Regierung derselben,
die nach Gregor XVI benannt ist. Man kann, wenn man die Ge-
schichte des Lambruschinischen Regiments liest, den plötzlichen Jubel,
der wie ein elektrischer Schlag ganz Italien ergriff, begreifen, und
wie der immer zunehmende Enthusiasmus bei jedem neuen Aufath-
men zu menschlichem Daseyn und zu sittlicher Entwicklung zuletzt
alle Besonnenheit und Mässigung rauben und jene Entwicklung selbst
stören musste. Willkür in der Justiz, unsinnige Auslegung der Ge-
setze, Umstossung derselben durch geheime Circolare oder durch
Modificationen, welche für bestimmte Fälle rückwirkende Kraft hatten,
Verkäuflichkeit der Aeintcr an Leute, die durch Aussaugen des Volks
ihren Kaufpreis wieder zehnfach einbrachten, bezeichnen die Regie-
rung Lambruschini’s. Der Papst war nicht der Fürst seines Landes,
sondern er stand unter der Vormundschaft einer Oligarchie von sou-
veränen Kardinalen, die ihn ganz von dem Volk entfernten und ihn
kaum zugänglich machten. Nur unter der Bedingung, dass nichts
von Geschäften gesprochen würde, durften die Römer Audienz von
ihm erbitten. Die Macht der Minister war wieder nichts im Ver-
gleich mit der Macht ihrer Vertrauten und Untergebnen, welche die
Aemter verkauften. Wie sich das Volk dabei befand, lässt sich leicht
erklären; aber es hatte dazu noch seine individuellen Plagen. Wer
im Geruch eines Liberalen stand (und dazu gehörte nach dem Ur-
theil der Sanfedislen äusserst wenig}, der behielt keine Regierungs-
noch Municipalstelle, wenn er es ja gerathen fand in seiner Heimath
zu bleiben. Kein versprochenes Gesetzbuch wurde gegeben, son-
dern ein ganz erbärmliches regolamento für das peinliche Gerichts-
verfahren mit unbarmherzigen Strafen für das Vergehen der soge-
nannten Losa Maeslä, unter welcher alles Mögliche verstanden wurde.
Die Richter waren servil, aus Parthei oder aus Furcht. Die Poli-
zeibeamten waren mehr gefürchtet als die Strassenräuber, denn sie
standen mit den Cenlurionen, den grausamsten Verfolgern der Libe-
ralen im Bündniss. Sie rissen den Bürgern die Barthaare aus den
Lippen und dem Kinn, erlaubten den Liberalen nicht, auf die Jagd
LXVII. Jahrg. 3. Doppelheft. 25