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Brodersen, Kai; Holm-Hadulla, Rainer Matthias [Hrsg.]; Assmann, Jan [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Kreativität — Berlin, Heidelberg [u.a.], 44.2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.4064#0212
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Kreativität und Genie in der Literatur

VON PETER HUBER

Kreativität in der Literatur - wie in der Kunst überhaupt - hat viele Namen.
Eine ihrer Grundvoraussetzungen ist das .Talent* oder die .Begabung'. Doch
darüber verfügt nahezu jeder professionelle Schreiber. Es bedarf weiterer
Eigenschaften wie der .Phantasie' als die Gabe zur freien Assoziation und zur
Vergegenwärtigung des Nichterlebten, der .Originalität' als das Signum der
Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit, ferner der .Intuition' als das Ver-
mögen zur Antizipation oder Vorahnung von Entwicklungen (in diesen
Zusammenhang gehört auch die .Sensibilität') sowie der .Erfindungsgabe'
(Invention), welche die Rekombination von bekannten Fakten zu etwas
grundsätzlich Neuem bezeichnet. Das Vorliegen dieser Dispositionen muss
aber auch zu nachweislichen Resultaten führen; insofern ist die .Produktivi-
tät' ebenfalls ein Kriterium von Kreativität. Sofern letztere ein allgemein-
menschliches Maß zu übersteigen scheint, wird ihr auch ein Anstoß .von
außen' zugebilligt: die .Inspiration'. Bei den Inspirationsquellen kann es sich
entweder um transzendente Entitäten wie Götter oder Musen handeln oder
aber, sofern religiös-mythologische Grundierungen fehlen, um außerge-
wöhnliche bis abnorme kognitive Fähigkeiten als Folge zerebraler (im medi-
zinischen Sinne .exogener') Ursachen. In der Literatur und allgemeiner in
der Ästhetik wird ein außergewöhnliches Zusammentreffen dieser Eigen-
schaften als .Genialität' bezeichnet, wobei hier meist die Einzigartigkeit und
inkommensurabilität des Phänomens im Vordergrund steht. Wird unter
dieser Disposition hingegen eine nur graduell abweichende und prinzipiell
meß- bzw. analysierbare psychische Konstitution verstanden, so wird sie
eher als .Kreativität' definiert. Als solche stellt sie ein weites Forschungs-
gebiet innerhalb der Psychologie dar.

Der Begriff .Genie' konstituiert sich aus der griechischen Wurzel - gen -:
erzeugen, wie sie im reduplizierten Verb yiy (e) vouai enthalten ist. Durch
die Übernahme des Stammes ins Lateinische wurde das entsprechende Verb
gig(e)nere weitgehend synonym zum originär-lateinischen creare. Eben die-
 
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