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Brodersen, Kai; Holm-Hadulla, Rainer Matthias [Hrsg.]; Assmann, Jan [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Kreativität — Berlin, Heidelberg [u.a.], 44.2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.4064#0336
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VON GÖRG HAVERKATE

i. „Ein trockenes Studium"

Fast jeder Nichtjurist weiß es - und selbst mancher Jurist glaubt es: die Ju-
risprudenz sei ein trockenes Studium. Können Juristen „kreativ" sein?

Wenn man einen Durchschnittsbürger fragt, was ihm zum Thema Kreati-
vität einfalle, welche Tätigkeiten besonders kreativ seien, die Antwort würde
ein buntes Bild zeigen, aber auf Juristen - nein, auf Juristen käme man nicht.
Der Jurist ist dem gegebenen, dem „positiven" Recht verpflichtet; der freie
Umgang mit dem Material, das den Kreativen, den Schöpfer, den Künstler
auszeichnet, das kann nicht seine Sache sein. Das Bemühen um die Kenntnis
der Gesetze, um das „scire leges", setzt weder Phantasie noch Einbildungs-
kraft voraus. - Das wäre die Außensicht. Und die Innensicht der Juristen
selbst? Ich zitiere einen Juristen, der so vorsichtig - klug war, die herrschen-
de Idealvorstellung vom Juristen unter einem Pseudonym zu veröffent-
lichen. „Die herrschende Idealvorstellung vom Juristen" - so beschreibt er
die Innensicht der Zunft - sei die: „Ein höherer Staatsbeamter mit akademi-
scher Ausbildung, sitzt er, bewaffnet bloß mit einer Denkmaschine, freilich
einer von der feinsten Art, in seiner Zelle. Ihr einziges Mobiliar ein grüner
Tisch, auf dem das staatliche Gesetzbuch vor ihm liegt. Man reicht ihm
einen beliebigen Fall, einen wirklichen oder nur erdachten, und entspre-
chend seiner Pflicht, ist er imstande, mit Hilfe rein logischer Operationen
und einer nur ihm verständlichen Geheimtechnik, die vom Gesetzgeber
vorherbestimmte Entscheidung im Gesetzbuch mit absoluter Exaktheit
nachzuweisen."1 Diese präzise Darstellung ist fast 100 Jahre alt, aber immer
noch aktuell und treffend. Idealbilder altern eben nicht so rasch! Wenn man
diese boshafte Darstellung mit ein paar Modevokabeln aufputzen würde:
kritisch, gesellschaftspolitisch aufgeschlossen usw. - und solche Mode-
vokabeln sind leicht zu applizieren, kostenlos zu beziehen und folgenlos -

Gnaeus Flavius, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, Heidelberg, 1909, S. 7.
 
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