Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Brodersen, Kai; Holm-Hadulla, Rainer Matthias [Hrsg.]; Assmann, Jan [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Kreativität — Berlin, Heidelberg [u.a.], 44.2000

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4064#0034
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Mozart - oder unser Unvermögen, das Genie zu begreifen'

VON MANFRED EIGEN

Genie ist ein genetisches Erbe der Menschheit, das
Daimonion, das ihr von den Göttern eingehaucht wurde.
Ohne die Vielfalt genialer Leistungen wäre unser Leben
öd und leer, eben ein Leben ohne Mozart.

Wer war Mozart?

Die Frage erinnert mich an eine Begebenheit, die sich vor einigen Jahren zu-
trug. Es war auf einer Versammlung der Deutschen Akademie der Naturfor-
scher Leopoldina in Halle an der Saale, jener ältesten deutschen Akademie
der Naturforscher (Academia Caesarea Leopoldino-Karolina Naturae Curio-
sorum, gegr. 1652), die in der ganzen Welt in hohem Ansehen steht. Max
Delbrück hielt den Eröffnungsvortrag. Er begann damit, dass er ein Bild pro-
jizierte, das einen Mann in mittelalterlicher Kleidung zeigte, der ein Mai-
glöckchen in der Hand hält. Dazu bemerkte er, es handele sich um ein zeit-
genössisches Porträt von Nikolaus Copernicus. Doch was ihn an dem Bild
vor allem interessierte, war nicht so sehr, wie Copernicus aussah, sondern
die Tatsache, dass dieser ein Maiglöckchen in der Hand hält. Er erzählte,
dass er deshalb Jacob Bronowsky am Salk Institute in La Jolla aufgesucht
hatte, von dem er wusste, dass er sich viel mit wissenschaftshistorischen
Fragen beschäftigt hatte, in der Hoffnung, dass dieser ihm erklären konnte,
welche Bewandtnis es wohl mit dem Maiglöckchen habe. Der - so Max Del-
brück - betrachtete das Bild eine Weile und murmelte vor sich hin: „Sure,
sure - it is a Uly of the valley." Doch dann reichte er es abrupt zurück mit
den Worten: „But are you sure that it is Copernicus?" Es war in der Tat Co-
pernicus, porträtiert von einem unbekannten Künstler. Allein, Bronowskys
Frage hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Und so fragte nun Max Delbrück
uns: „Wen würde es denn stören, wenn dies nicht Copernicus wäre?"

Aktualisierte und überarbeitete Fassung des erstmalig in der Naturwissenschaftlichen
Rundschau (38. JahrgJHeft 9) erschienenen Beitrags gleichen Titels.
 
Annotationen