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Brodersen, Kai; Holm-Hadulla, Rainer Matthias [Editor]; Assmann, Jan [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Kreativität — Berlin, Heidelberg [u.a.], 44.2000

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4064#0360
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Freiheit, Kreativität und das Einpauken von Wissen 353

in Forschung und Lehre, Interdisziplinärst, Differenziertheit, Tiefgang und
weitem Horizont. Der „wissenschaftliche Eros" ist ein kostbares Gut, das
auch in der Lehre kultiviert werden sollte, damit er dem Forscher nicht wie-
der verloren geht.

Eine kreative Lösung der hier beschriebenen Probleme könnte in folgen-
dem einfachen Gedanken gesehen werden: Ein Hochschullehrer ist dann be-
sonders gut, wenn ein Funke überspringt, wenn er Räume öffnet, in denen
Begeisterung und Inspiration möglich werden oder zumindest ein Interesse
an Kreativität geweckt wird. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Forschungs-
arbeiten zur Motivationsentwicklung hat immer wieder ergeben, dass Frei-
heit förderlicher ist als Druck. In der Lehre kreativ zu sein bedeutet daher
vor allem, ungelöste Fragen zu stellen, die den Hochschullehrer auch selbst
ganz besonders interessieren, anstatt Faktenwissen einzupauken und dieses
mit strengem Blick wieder einzufordern.

Nun liegt vielleicht ein Einwand nahe: Sollte nicht der Hochschullehrer
seine eigenen Interessen zugunsten einer sachlichen Wissensvermittlung
sine ha et studio zurückstellen?

Ich meine klar und eindeutig: nein. Für die reine Wissensvermittlung gibt
es die Lehrbücher, die Kompendien und Enzyklopädien, das Internet und
die Repetitorien, die meines Erachtens nicht Aufgabe des habilitierten
Hochschullehrers sind. Die Universität ist - zumindest in Heidelberg mit
einer Inschrift am zentralen Hörsaalgebäude - „Dem lebendigen Geist"
gewidmet. Je unmittelbarer der Hochschullehrer seine ungeklärten Fragen
präsentiert, umso lebendiger wird er auch von den Studierenden wahrge-
nommen werden. Ich habe nichts dagegen, wenn ein Hochschullehrer den
Studierenden didaktisch raffiniert erklärt, was man heutzutage über das
betreffende Thema weiß. Auch in der reinen Wissensvermittlung entfaltet
sich heutzutage eine enorme Kreativität. Das kostbarste Ziel einer kreativen
Lehre sehe ich aber persönlich darin, den wissenschaftlichen Eros erfahrbar
zu machen. Dabei sind die verrückten Ideen manchmal nachhaltiger als die
geradlinigen Mainstream-Richtlinien.

Ich danke Sabine Rittner, Jochen Schweitzer und Hanne Seemann für an-
regende Kommentare zu einer Vorform dieses Manuskripts.

Literatur

Gadamer H (1993) Über die Verborgenheit der Gesundheit. Suhrkamp, Frankfurt

Verres R (1980): Möglichkeiten und Grenzen der Anbahnung von Selbsterfahrungsprozessen
bei skeptischen Studenten. In: Scheer JW (Hrsg) Bericht über den 3. Kongress „Psychologie
in der Medizin". Selbstverlag der Gesellschaft für Medizinische Psychologie Gießen, S 56-58

Verres R (1997) Die Kunst zu leben - Krebsrisiko und Psyche. Piper, München

Verres R (1999) Paradies. Umschau-Braus, Frankfurt

Verres R, Schweitzer J, Jonasch K, Süßdorf B (Hrsg) (1999) Heidelberger Lesebuch der Medi-
zinischen Psychologie. Vandenhoeck Sc Ruprecht, Göttingen
 
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