Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0046

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
34 Volker Lenhart

Lösung aktueller Bildungsreformaufgaben einschließlich des Aufstellens von
Warntafeln vor Fehlentwicklungen beitragen kann. Zugleich soll aber auch
deutlich gemacht werden, in welchen Hinsichten sich Humboldts Problemstel-
lungen und Problemlösungen nicht mehr auf eine Situation beziehen lassen,
die durch die Stichworte „Bildung in der Weltgesellschaft" und „Bildung in der
Wissensgesellschaft" zu kennzeichnen ist.

2 Das Programm

2.1 Die Bildungsidee

Der junge Humboldt deutet die Bestimmung des Menschen unter der Bildungs-
kategorie. „Der wahre Zwek des Menschen - nicht der, welchen die wechselnde
Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt
- ist die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Gan-
zen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste, und unerlassliche Bedingung. Allein
ausser der Freiheit erfordert die Entwikkelung der menschlichen Kräfte noch
etwas andres, obgleich mit der Freiheit eng verbundenes, Mannigfaltigkeit der
Situationen."7 Der Tenor dieser Formel bleibt bei dem preußischen Reformer
über alle späteren Nuancierungen des Bildungsbegriffes hinweg erhalten.

Bildung also ist Zweck, nicht Mittel zur Erreichung anderer Ziele. Sie ist
Selbstzweck im transzendentalen Sinne. Damit ist zugleich eine der Wurzeln
des Humboldtschen Bildungsbegriffes aufgedeckt: die Kantsche Erkenntnis-
theorie und Moralphilosophie.

Bildung bezieht sich auf die Kräfte des einzelnen Menschen. Daneben kennt
der Bildungsphilosoph Kräfte sowohl in der unbelebten und belebten außer-
menschlichen Natur als auch in der Geschichte. Humboldts Kraftbegriff nimmt
nur wenige Impulse von der statisch-mechanistischen Kraftvorstellung der
Newton- und Descartes-Tradition auf, bei der Kraft mathematisch berechenbar
ist. Er steht näher bei dem dynamischen Naturverstehen in der Entwicklungs-
linie von Shaftesbury und Herder. Da wurde Natur als schöpferische, lebens-
volle, organische Kräftegesamtheit beschrieben. Aber auch in dieser Sicht von
Kräften, die sich dann in der Romantik und der Naturphilosophie Schellings
fortsetzte, geht Humboldts Kraftvorstellung nicht auf. Sie gewinnt ihre be-
sonderen Konturen vielmehr durch den Rückgriff auf die dynamische Physik
von Leibniz. Die unterscheidet unter anderem zwischen einer ursprünglichen
Kraft, die die von Gott in die Welt hineingegebene Energie schlechthin ist,
und einer abgeleiteten Kraft, die im Gegensatz zur ersteren durch ein gewisses
Quantum gekennzeichnet ist, sowie zwischen einzeln wirkenden Kräften und
solchen, die eine Entität zusammenhalten.8 Humboldt nimmt besonders die
Annahme einer Grundkraft sowie die einer ein Ganzes zusammenschließen-

7 Humboldt, Werke I, i960,64.

8 Vgl. Neuser 1997.
 
Annotationen