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Kempter, Klaus [Editor]; Boenicke, Rose [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0047

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Humboldt heute - das klassische Bildungsprogramm 35

den Kraft auf. Über beide gewinnt er Anschluss an die Leibnizsche Monaden-
lehre. Menschliche Bildung geschieht als tätige Selbstbestimmung der Kräfte
an der widerständigen Welt. Diese Auffassung von der monadischen, in sich
erfüllten Konstitution des Menschen hält er konsequent durch.9

Bildung der Kräfte soll proportionierlich sein. Proportioniertheit ist zu-
nächst eine ästhetische Kategorie, die auf die Bedeutung des Schönheitsbegriffs
für die Bildungstheorie verweist. Dann aber wird Proportionalität als anthro-
pologische Formgestaltung verstanden. Die Ausformungen der menschlichen
Grundvermögen, wie Vernunft, Einbildungskraft, Sinnlichkeit, stimmen bei ge-
lingender Bildung zusammen. Ein Exempel der proportionierlichen Entwick-
lung ist für Humboldt die Geisteshaltung seines Freundes Friedrich Schiller.
„Der Endpunkt, an den er Alles knüpfte, war die Herstellung der Totalität in der
menschlichen Natur durch das Zusammenstimmen ihrer geschiedenen Kräfte
in ihrer absoluten Freiheit. Beide dem Ich, das nur Eins und ein Untheilbares
seyn kann, angehörend, aber die eine Mannigfaltigkeit und Stoff, die andre
Einheit und Form suchend, sollten sie durch ihre freiwillige Harmonie schon
hier auf einen über alle Endlichkeit hinaus liegenden Ursprung hindeuten. Die
Vernunft, unbedingt herrschend in der Erkenntnis und Willensbestimmung,
sollte die Anschauung und Empfindung mit schonender Achtung behandeln
und nirgends in ihr Gebiet übergreifen, dagegen sollten diese sich aus ihrem
eigenthümlichen Wesen, und auf ihrer selbstgewählten Bahn zu einer Gestalt
emporbilden, in welcher jene, bei aller Verschiedenheit des Princips, sich der
Form nach wiederfände."10

Die Entwicklung der Kräfte soll höchstmöglich vorangetrieben werden. Sie
hat zwar ein Ziel, aber das ist weder eine metaphysische Konstante noch ein
operationalisierter Sollwert. Das Regulativ des Bildungsprozesses fasst Hum-
boldt als „Idee" des jeweiligen Menschen. Die aber ist kein der Individualität
vorgegebenes, sondern ein im konkreten Lebensvollzug ständig neu entworfe-
nes (und damit nie ganz einholbares) Leitbild.

Erste Bedingung der Bildung ist die Freiheit. Das heißt zunächst Freiheit
von obsoletem Zwang. Humboldt kennt ja nicht nur die Unrechtsinstituti-
on der Sklaverei in der Antike, sondern auch in seinem Preußen gab es bis
zum Einsetzen der Agrarreformen ab 1807 für weite Bevölkerungsteile die
Erbuntertänigkeit. Humboldt aber will letztendlich die moderne Staatsbürger-
gesellschaft statt der ständischen hierarchischen Sozialordnung. In der Tradi-
tion Kants wird die negative Freiheit, die Möglichkeit der Selbstbestimmung,
mit der positiven autonomen Selbstgesetzgebung, die eine Selbstbegrenzung
impliziert, zusammengeschlossen. So wird der eigene Freiheitsanspruch mit
den Freiheitsaspirationen aller anderen vereinbar gemacht."

9 Menze 1965,101.

10 Humboldt, Werke II, 1961,366f.
" Bienfait 1999,14.
 
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