Hegels Bildungstheorie dargestellt anhand seiner
Nürnberger Gymnasialreden
nebst einer Reflexion auf die Situation der Bildung
in der heutigen Weltgesellschaft *
STEFAN BÜTTNER
Bildung ist so sehr Bildung des äußeren Ganzen,
wie gerade damit Bildung seiner selbst.
Max Horkheimer
Vorbemerkung:
Die Situation der Bildung in der heutigen Weltgesellschaft
„Wir sind, was die Bildung betrifft, in der Lage Robinsons. Wir haben Schiff-
bruch erlitten." Mit dieser lapidaren Feststellung und zutreffenden Charakteri-
sierung der Situation unseres Bildungs- und Schulsystems beginnt der Anglist
Dietrich Schwanitz sein populär gewordenes Buch Bildung.' Schiffbruch - so
Schwanitz - haben wir in Deutschland mit der Bildung erlitten, weil eine soli-
de Überlegung über Bildungsziele nirgendwo stattfindet, weil jeder Bildungs-
inhalt mit jedem anderen austauschbar erscheint, weil der Kanon klassischer
Texte irrigerweise nur noch als bildungsbürgerliche Hürde angesehen wird, die
dazu diene, „den unteren Schichten den Zugang zu den Fleischtöpfen des Bil-
dungssystems zu verstellen." 2 Aber das Schiff ist in Deutschland bereits lange
und weit vor der Universität auf Grund gelaufen: In den Bereichen Lesekom-
petenz, mathematische Grundbildung und naturwissenschaftliche Kompetenz
liegen die deutschen 15-Jährigen im internationalen Vergleich im unteren Mit-
telfeld, wie die PISA-Studie gezeigt hat.3
Die Gründe für Niveauverlust und Unübersichtlichkeit, für Beliebigkeit und
Verunsicherung in Sachen Bildung und Lernen sind vielfältig und liegen nicht
* Zur Zitierweise: Hegel wird zitiert nach: Werke in zwanzig Bänden (Theorie Werkausgabe), zit.
als TW mit Band- und Seitenzahl. In Ausnahmefällen wird auch nach der historisch-kritischen
Ausgabe zitiert: Hegel, Gesammelte Werke, zit. als GW mit Band- und Seitenzahl.
Vgl. den Beitrag von Klaus Kempter im vorliegenden Band.
Schwanitz 1999,31.
3 Und gravierender: Deutschland weist die größte Streuung der Schulleistungen auf, und sie
bezieht sich auf die unteren Leistungsbereiche. D.h. wir erreichen viele Kinder mit unseren
Bildungseinrichtungen gar nicht. Vgl. dazu auch Spitzer 2002,38/ff.
Nürnberger Gymnasialreden
nebst einer Reflexion auf die Situation der Bildung
in der heutigen Weltgesellschaft *
STEFAN BÜTTNER
Bildung ist so sehr Bildung des äußeren Ganzen,
wie gerade damit Bildung seiner selbst.
Max Horkheimer
Vorbemerkung:
Die Situation der Bildung in der heutigen Weltgesellschaft
„Wir sind, was die Bildung betrifft, in der Lage Robinsons. Wir haben Schiff-
bruch erlitten." Mit dieser lapidaren Feststellung und zutreffenden Charakteri-
sierung der Situation unseres Bildungs- und Schulsystems beginnt der Anglist
Dietrich Schwanitz sein populär gewordenes Buch Bildung.' Schiffbruch - so
Schwanitz - haben wir in Deutschland mit der Bildung erlitten, weil eine soli-
de Überlegung über Bildungsziele nirgendwo stattfindet, weil jeder Bildungs-
inhalt mit jedem anderen austauschbar erscheint, weil der Kanon klassischer
Texte irrigerweise nur noch als bildungsbürgerliche Hürde angesehen wird, die
dazu diene, „den unteren Schichten den Zugang zu den Fleischtöpfen des Bil-
dungssystems zu verstellen." 2 Aber das Schiff ist in Deutschland bereits lange
und weit vor der Universität auf Grund gelaufen: In den Bereichen Lesekom-
petenz, mathematische Grundbildung und naturwissenschaftliche Kompetenz
liegen die deutschen 15-Jährigen im internationalen Vergleich im unteren Mit-
telfeld, wie die PISA-Studie gezeigt hat.3
Die Gründe für Niveauverlust und Unübersichtlichkeit, für Beliebigkeit und
Verunsicherung in Sachen Bildung und Lernen sind vielfältig und liegen nicht
* Zur Zitierweise: Hegel wird zitiert nach: Werke in zwanzig Bänden (Theorie Werkausgabe), zit.
als TW mit Band- und Seitenzahl. In Ausnahmefällen wird auch nach der historisch-kritischen
Ausgabe zitiert: Hegel, Gesammelte Werke, zit. als GW mit Band- und Seitenzahl.
Vgl. den Beitrag von Klaus Kempter im vorliegenden Band.
Schwanitz 1999,31.
3 Und gravierender: Deutschland weist die größte Streuung der Schulleistungen auf, und sie
bezieht sich auf die unteren Leistungsbereiche. D.h. wir erreichen viele Kinder mit unseren
Bildungseinrichtungen gar nicht. Vgl. dazu auch Spitzer 2002,38/ff.