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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0099

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Werte für ein demokratisches Bildungswesen 87

ral stark unterscheiden; noch heute werden Außenstehende, so genannte Min-
derheiten, oft signifikant benachteiligt. Trotzdem erkennen die verschiedenen
Kulturen eine basale Gleichheit und Gleichberechtigung an, denn ausführlich
lautet die Goldene Regel: Ob Mann oder Frau, arm oder reich, mächtig oder
schwach - behandele alle Menschen gleich, und zwar so, wie auch du von ihnen
behandelt sein möchtest.

Noch ein weiterer Wert, sogar Komplex von Werten findet sich in den unter-
schiedlichsten Kulturen und Epochen: Mitleid, Hilfsbereitschaft und Wohlwol-
len beziehungsweise Nächstenliebe. In den Weisheitsbüchern Ägyptens lesen
wir (was unsere Lesart bekräftigt, dass die Goldene Regel sich über alle sozia-
len Unterschiede hinweg schlicht auf die Beziehung von Mensch zu Mensch
richtet): „Hilf jedermann. / Befreie einen, wenn du ihn in Banden findest; / sei
ein Beschützer des Elenden."10 Ein altbabylonischer Text greift sogar der Berg-
predigt vor: „Dem, der dir Böses antut, vergilt mit Gutem! / Dem, der dir übel
will, halte die Gerechtigkeit entgegen! Deinem Feind begegne dein Sinn strah-
lend (freundlich)." n Das Mahabharata fordert: „An der übermäßigen Fülle
soll man andere, die nichts besitzen, teilnehmen lassen."12 Einer der Klassiker
der chinesischen Philosophie, Mo zi, erklärt: „Alles Elend, Übergriffe, Unzu-
friedenheit und Hass in der Welt haben ihren Ursprung in dem Mangel an
gegenseitiger Liebe."13 Und in der zweiten Sure des Koran heißt es: „Nicht be-
steht die Frömmigkeit darin, dass ihr eure Angesichter gen Westen oder Osten
kehret; vielmehr ist fromm, [....] wer sein Geld aus Liebe zu ihm [Allah] ausgibt
für seine Angehörigen und Weisen und die Armen und den Sohn des Weges
und die Bettler und die Gefangenen."14

Von den Kirchenvätern der abendländischen Philosophie greifen wir nur
einen heraus, dritter Gipfel: Aristoteles. Dieser bekräftigt die bisher gefunde-
nen Werte, steigert ihren Gehalt und verändert die Rangfolge. In der Einlei-
tung zur Politik (I 2) hebt er für die Konstitution der Polis zwei Faktoren, die
Kooperation zu gegenseitigem Vorteil, mithin Wechselseitigkeit, und die Ge-
meinschaft von Recht und Unrecht (dikaion kai adikon) hervor. Der Hinweis,
das Recht (dike) bilde die Ordnung (taxis), also Grammatik des Gemeinwesens,
bestätigt das herausragende Gewicht dieses Wertes. Die Nikomachische Ethik
widmet von allen Tugenden allein der Gerechtigkeit (dikaiosyne) ein ganzes
Buch, Buch V Zudem wird ihr Gehalt von einer bloßen Befolgung des Rechts,
einem schlichten Rechtssinn, zu einer freien Anerkennung um des Gerech-
ten selbst willen gesteigert, womit Aristoteles, auf die Rechtspflichten bezogen,
Kants Begriff der Moralität nahe kommt.

' Hoffe 2002b, Nr. 5.
" Ebd., Nr. 16.

12 Ebd., Nr. 27.

13 Ebd., Nr. 31.

14 Ebd., Nr. 39.
 
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