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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0166

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154 Jürgen Paul Schwindt

der Eroberung Westroms, gewidmet. Dies schließt ihre unmittelbare Relevanz
für das Selbstverständnis der Moderne als Moderne gerade nicht aus: Mit
der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der sich die klassisch-romantischen
und postromantischen Inauguratoren der Moderne bei ihren konzeptionel-
len Überlegungen immer direkt auf die Antike bezogen haben, sollte die Be-
deutung der Altertumswissenschaften, als Archäologie der Moderne, unstrittig
sein.

These 2: Sie ist modern nicht so sehr als Wissenschaft, die ihren Gegenstand
„up to date" bringt, ihr Wissen über denselben nach allen Seiten vervollständigt
und dokumentiert. Vielmehr vermeidet die moderne Altertumswissenschaft
die Ausweichbewegung weg von den Zentren der Traditionsbildung und bringt
in den wirkungsmächtigen Überlieferungsbestandteilen das Relief der Moder-
ne zum Vorschein.

These 3: Sie revidiert ihr seit langem gestörtes Verhältnis zum Ästhetischen,
indem sie sich bereit und in der Lage zeigt, dem Ästhetischen auf der Höhe
seiner gegenwärtigen Verfassung zu begegnen. Die Ästhetik als Wissenschaft
von der Form (Diagnostik, Ätiologie/Pathogenese) ist nicht zugleich mit der
Mehrzahl der gängigen Bildungskonzepte obsolet geworden.

These 4: Eine inhaltsfixierte Altertumswissenschaft wird sich schwertun, dem
Teufelskreis von blöder Spannung und kultivierter Langeweile zu entrinnen;
vitale Wissenschaft vom Altertum bringt die Dinge bildend auf ihren reflexiven
Begriff, weist ihnen ihre systematische Stelle im (kulturellen) Traditionszusam-
menhang zu.

These 5: Noch weniger kann sie es sich leisten, auf Gehalte fixiert zu sein. Die
Altertumswissenschaft bildet, indem sie über Bildung nicht redet, sondern die
Bildung der Moderne in der genealogischen Vertiefung auf ihre elementaren
Konditionen hin durchsichtig macht - als Radikalphilologie. Weil, wie die Er-
fahrung lehrt, Konzepte eben nicht zeitlos sind, müssen sie radikalisiert, das
heißt ihrerseits zum Gegenstand philologischer Subversion werden.

Wenn Altertumswissenschaft als nicht inhalts- noch gehaltsfixierte, ästhetisch
aufgeklärte, moderne Archäologie der Moderne von Bildung nicht reden, son-
dern Bildung zeigen soll, dann kann ihr kein schöneres Demonstrationsobjekt
zufallen als jener Text, den nicht nur Laien nur zu oft für den Inbegriff einer
konservativ abgeschmackten Altertumswissenschaft genommen haben. Und
wirklich: Wann haben wir zuletzt etwas Gutes über den Anfang des Bellum Gal-
licum gehört oder gelesen? Es wäre eine lohnende Aufgabe, eine Phraseologie
der negativen Beurteilungen des Caesartextes zu erstellen. Eine Philologie, die
immer schon weiß, was in ihren Texten verhandelt wird, läuft Gefahr, Lektüren
auszugeben, die Common-sense-Bildungen erhärten, statt selbst bildend zu
wirken.
 
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