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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0185

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Bildungskrisen und Selbstorganisation der Kultur 173

Jahrhunderts sind geradezu die reinste Manifestation der Kultur von oben.
Die Prozesse der eigendynamischen Steuerung sind in diesem Zusammen-
hang des Abbaus von äußerer herrschaftlicher Kontrolle zu sehen. In diesem
Prozess nimmt das seit der Aufklärung aufgebaute moderne Bildungswesen
eine immer bedeutungsvoller ins Zentrum rückende Institution ein. Die in
den Schulreformen des 19. und 20. Jahrhunderts zum Ausdruck kommende
Logik des Bildungswachstums führt plausibel zur Subjektivierung der Kultur
und zum Abbau der bürokratischen Steuerung der Lebenszusammenhänge
von oben.23

Mit der verstärkten Bedeutung der Innenlenkung des Handelns ist eine Ver-
schiebung der Grenze von Innen und Außen verbunden. Der vertraute Sprach-
gebrauch der Kultur von unten führt konsequent zur inneren Lebensführung
und zum Aufbau innerer Bedeutungswelten, die mit dem modernen Bildungs-
wachstums verbunden sind. Wir dürfen gespannt darauf sein, wann im Sprach-
gebrauch die Redeweise einer Kultur von innen auftauchen wird. Es bedarf
keiner großen Fantasie, dass die Grenzen des Begriffs der Rolle in diesem
Zusammenhang schärfer gezogen werden dürften. Das Verhältnis von Selbst-
sein als Person in offenen sozialen Beziehungen und Rolle in versachlichten
arbeitsteiligen Zusammenhängen bezieht sich auf die Differenzierung von In-
nen und Außen. Dabei orientieren wir uns nicht an einem die Rationalität
voraussetzenden Modellplatonismus (wie bei den Theorien rationaler Wahl)
oder an abstrakten Fortschrittsidealen24, sondern am wirklich gelebten Alltag
unserer Vorfahren. Die modernen Erfahrungswissenschaften ermöglichen die
erfolgreiche Anpassung an die Umwelt. Das (Rollen-)Handeln in den Syste-
men spiegelt das Lernen der Generationen im historischen Prozess. Hier geht
es um den geregelten Austausch von Leistungen. Die sozialen Beziehungen in
diesem Kontext beruhen auf Leistungswissen. Auf dieser Ebene des Zusam-
menwirkens in Rollenbeziehungen müssen wir in Jahrhunderten denken. Für
das Lernen der Gattung (hier spielen die einzelnen Menschen austauschbare
Rollen) scheint die Zeit gleichsam unendlich zu sein, während der einzelne
sich durch Bildungswissen im endlichen Lebenslauf als Person zu verwirkli-
chen sucht. Das Prinzip der Rational choice reicht in den Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften nicht aus, um dem konkreten Handeln gerecht zu wer-
den, wie immer deutlicher wird.25 Im Auftreten der stetigen gesellschaftlichen
Trends (Take-off nach 1850/60) schlagen die neuen Erfahrungswissenschaf-
ten in den von den Zeitgenossen registrierten Massenerscheinungen in der
Lebenswelt durch.

' Vgl. Titze 1999a, i09f£; Nath 2003,2off.
14 Vgl. Richter 2001,1098.
'' Vgl. beispielsweise Meusburger 1998; Wahl 2000; Richter 2001.
 
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