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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0242

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230 Rose Boenicke

sie zu verändern." 20 Diese Veränderungsbereitschaft zu unterstützen oder, bei
Mollenhauer, sogar „hervorzubringen" wird zur Aufgabe der Pädagogik er-
klärt; 21 gesellschaftliche Veränderung in die eigene Hand zu nehmen ist nun
das, was - um die Formulierung von Schleiermacher aufzunehmen - die ältere
Generation mit der jüngeren will.22

Betont wird dennoch von der gesellschaftskritischen Pädagogik die Of-
fenheit ihrer Konzepte in normativer Hinsicht. „Emanzipation kann ja nicht
bedeuten, dass man sich von den alten Vorgaben distanziert und sie dabei
gegen neue austauscht, sie lässt sich nur als Emanzipation von etwas, nicht
aber als Emanzipation zu etwas verstehen"23, sondern wirkt darauf hin, Her-
anwachsende zunehmend frei zu lassen für ihre eigene Wahl von Erfahrungs-,
Bildungs- und Lernprozessen. Bildung, so erläutert Benner das Konzept der
6oer Jahre, bedeutet „weder, dass wir unser Leben in Anerkennung nicht hinter-
fragter Positivitäten gestalten, noch als Suche nach diesen konzipieren müssen,
sondern dass wir mit den Positivitäten der Wirklichkeit reflektierend, und das
heißt unter Verzicht auf fundamentalistische Normgeber und Sinnspender um-
gehen können." 24

Dies entlastet eine Pädagogik, die Emanzipation als Voraussetzung so ver-
standener Bildungsprozesse in den Mittelpunkt stellt; sie sieht ihre vorrangi-
ge Aufgabe in der Kritik von Normen, Vernunftbeschränkungen, Ideologien,
Herrschaftsverhältnissen. Vermieden werden muss, „die pädagogische Aufgabe
der Beförderung von Mündigkeit durch positiv-inhaltliche Forderungen, also
durch konkrete Beschränkungen der Mündigkeit gleich wieder zu verraten",
fasst Ruhloff die negative Selbstbeschränkung der Emanzipationspädagogik
zusammen und erläutert dies folgendermaßen: „Kritische Pädagogik [... ] hat
in ihrer Theorie nicht inhaltlich detaillierte Entwürfe einer .besseren Erzie-
hung' zu entwickeln, und in der Praxis verpflichtet sie sich nicht einem neuen
Ideal der Gebildetheit, nach dem der Heranwachsende in seinem Wissen, Wol-
len und Können zu ,formen' wäre. Es bedarf keiner Ausmalung utopischer
Bilder vom vollkommenen Leben und keiner darauf gerichteten Sollenssätze,
um das pädagogisch Bessere in die Wege zu leiten. Die Verneinung der festge-
stellten Unfreiheit [...] ist selber schon die Eröffnung des Besseren. Die Kritik
an Vernunftbeschränkungen setzt die Möglichkeit einer besseren Erziehung
und eines besseren Lebens frei."25

Diese erziehungs- und bildungstheoretischen Reflexionen kollidieren mit
der Verpflichtung der daraus sich ableitenden Pädagogik auf praktisches Han-

20 Marx 1845,372.

21 S. o., Mollenhauer 1964b, 74.

22 Anstatt sich darauf zu beschränken, dies als eigene Aufgabe anzusehen und abzuwarten, ob
die jüngere Generation sich dem anschließt. Vgl. Schleiermacher 1826,9.

23 Benner 2000,36.

24 Ebd., 35.

25 Ruhloff 1980, luf.
 
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