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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0262

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250 Christiane Schiersmann

2 Selbststeuerung von Lernprozessen

2.1 Theoriekonstrukte zur Selbststeuerung

Die auf einer allgemeinen Ebene zu beobachtende hohe Übereinstimmung
in Bezug auf die Betonung der Notwendigkeit von Selbststeuerung verdeckt,
dass im Einzelnen häufig nicht klar ist, was genau damit gemeint ist. Die Be-
griffe „selbstgesteuertes", „selbstorganisiertes", „autonomes", „selbstregulier-
tes", „eigenverantwortliches", „selbstinitiiertes Lernen", „Selbstlernen", „self-
directed", „self-regulated", „self-guided learning" und ähnliche werden häufig
synonym gebraucht, teilweise aber auch dezidiert voneinander abgegrenzt. Ich
verwende durchgehend den Begriff der Selbststeuerung. Es hat bislang kei-
ne theoriebezogene Verständigung über diese Begriffüchkeit stattgefunden.9
Um präzisieren zu können, welcher Aspekt von Selbststeuerung in der Un-
tersuchung empirisch überprüft wurde, differenziere ich zunächst auf einer
heuristischen Ebene drei Zugänge zu dem theoretischen Konstrukt der Selbst-
steuerung.

Der Lernprozess als Selbststeuerungsprozess

Eine zentrale Rolle spielt das Konzept der Selbststeuerung im Rahmen syste-
mischer und konstruktivistischer Lerntheorien.10 In diesem Kontext werden
selbstreferentielle Prozesse sozialer Systeme als Lernprozesse verstanden. Da-
bei wird davon ausgegangen, dass der Lernende nicht einfach Wissen rezipiert,
sondern im Lernprozess sein Wissen konstruiert, das heißt in sein Vorwissen
einbaut. Die aus konstruktivistischer Sicht betonte Aktivität des Lernenden
bezeichnet eine mentale und kognitive Eigenaktivität. Diese Konzeptionalisie-
rung des selbstgesteuerten Lernens kann als psychologischer bzw. erkenntnis-
theoretischer Zugriff charakterisiert werden.

Die Betonung der kognitiven Eigenaktivität des Lernenden beim Wissen-
serwerb korrespondiert jedoch nicht - wie irrtümlich manchmal dargestellt
- mit der Präferenz eines konkreten Lernkontextes, zum Beispiel einer infor-
mellen Lernumgebung. Lernende können durchaus in einem formalen Lern-
kontext, beispielsweise einem Vortrag, an dem sie - von außen betrachtet -
„passiv" teilnehmen, Wissen erwerben, das aktiv und konstruktiv verarbeitet,
das heißt in das jeweilige Vorwissen eingebaut wird und in neuen komplexen
Problemsituationen angewendet werden kann."

Bei dieser Ausgestaltung des Konzepts der Selbststeuerung stehen Eigen-
schaften und Verhaltensweisen von Personen als wesentliche Variablen im Vor-
dergrund, die auf ein konstruiertes „Idealbild" vom selbstgesteuerten Lernen-
den hinauslaufen.12 Dieser zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er „aktiv"

9 Vgl. Schiersmann 2002, Schiersmann 2004.

10 Vgl. Friedrich/Mandl 1995; Siebert 2003.

"Vgl. Kraft 1999.838.
12 Ebd., 836.
 
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