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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0288

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276 Peter Meusburger

makrosozialen Strukturen und Prozessen mikrofundiert erfolgen müsse".25
Auch Esser2Ö geht davon aus, dass das Grundmodell einer soziologischen Er-
klärung immer ein Mehrebenenmodell sei. Eine soziologische Erklärung ver-
langt den methodisch kontrollierten Wechsel zwischen der Makro- und der
Mikroebene.27 Die Erklärung eines Makrophänomens kann zwar häufig nur
über die darunter liegende Ebene erfolgen. Ein pragmatischer methodologi-
scher Individualismus geht jedoch nach Schluchter davon aus, dass die „Art
und Tiefe der Mikrofundierung vom Erklärungsproblem abhängig" sei.28

Die Mikroebene des Individuums ist sicherlich bei einigen Fragestellun-
gen die am besten geeignete Analyseebene, es wäre jedoch falsch, anzunehmen
dass sie generell fundiertere Erkenntnisse liefert oder mit weniger Black Boxes
konfrontiert ist als die Meso- und Makroebene. Die Mikroebene wird vor al-
lem herangezogen, wenn es um die Erklärung von Handlungen geht. Trotz der
großen Erfolge der Hirnforschung und Neuropsychologie wissen wir auf der
Mikroebene des Akteurs noch sehr wenig über die Zusammenhänge zwischen
Wissen und Handeln. Auf der Mikroebene gibt es noch zahlreiche umstrittene
Probleme, wie zum Beispiel die Frage der Willensfreiheit, der nicht bewusst
ablaufenden kognitiven Vorgänge und der neuronalen Determiniertheit von
Entscheidungen.29 Die Beziehungen zwischen Wissen und Handeln gelten als
eine der schwierigsten Forschungsfragen der Sozialwissenschaften. Die Aus-
sage, je höher wir bei der Mehrebenenanalyse gehen, desto geringer wird die
soziologische Kompetenz,30 kann genauso umgedreht werden, etwa durch die
Feststellung, je tiefer wir bei der Forschung über die Ursachen des Handelns
in die Neurophysiologie und Psyche des Menschen eindringen, umso mehr
black boxes tun sich auf. „Viele Gründe bleiben dem Beobachter oder dem Teil-
nehmer oder beiden pragmatisch .verschlossen', sie ergeben sich nicht einfach
aus der Logik der Situation".31 Weder die für ein Problem relevanten Hand-
lungsabläufe noch die Handlungswirkungen sind für den Beobachter immer
beobachtbar oder verständlich.

Einem Teil der methodischen Schwierigkeiten kann man dadurch aus-
weichen, dass man davon ausgeht, dass es in der Humangeographie so wie
auch in anderen empirischen Sozialwissenschaften nicht (oder selten) um die
Erklärung von Ursache-Wirkung-Beziehungen geht, sondern um die Bestim-
mungsgründe des Handelns. Nicht immer sind die Gründe des Handelns auch
die Ursachen des Handelns. Darauf haben jüngst wieder Schluchter32 und

25 Schluchter 2005,24.

26 Esser 1993,100.

27 Schluchter 2005,25.

28 Schluchter 2005,24.

29 Beckermann 2005; Prinz 1996,1998,2000; Schwan 2003, Singer 2003, Walter 1998.

30 Friedrichs, Lepsius, Mayer 1998,23.

31 Schluchter 2005,21.

32 Schluchter 2005.
 
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