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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0322

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310 Werner Gamerith

machen" 2 das Wort redet, so relativiert sich die Kritik der „neuen" an einer
als traditionell empfundenen Forschungsrichtung der Kulturgeographie doch
insoweit, als es auch dem „neuen" Strang nicht restlos gelingt, Versäumnisse
der „alten" Schule zu kompensieren. Eines der Hauptdefizite der klassischen
US-amerikanischen Kulturgeographie liegt sicherlich darin, dass der gesam-
te Themenbereich von Wissen, Bildung, Schule und Erziehung aus ihren
theoretisch-konzeptionellen Überlegungen weitgehend ausgeklammert blieb.
„Kultur" wird über sichtbare Artefakte, über materielle Ausdrucksformen ge-
fasst. Diese konstituieren eine jeweils spezifische Kulturlandschaft; Hauptauf-
gabe der Wissenschaft ist nun nach dem Verständnis vor allem der Berke-
ley School eine Beschreibung der Kulturlandschaftselemente, ihrer konkreten
Entstehungsgeschichte und ihrer räumlichen Verbreitung. Menschliche Kul-
turtätigkeit in verschiedenen Generationen manifestiert sich in unterschied-
lichen Artefakten, die gleichsam Schicht für Schicht die Kulturlandschaft auf-
bauen. Der Kulturgeograph arbeitet nun beinahe wie ein Archäologe, wenn er
diese Schichten abträgt und die dabei jeweils erfassbaren Elemente materieller
Kultur bestimmten Kulturträgern zuordnet.

Vertreter einer New Cultural Geography sehen in diesem auf Repräsenta-
tionen und Artefakten fokussierten Kulturverständnis eine statische Konzep-
tion, die nach ihrer Ansicht wenig mit den Konfliktsituationen und Machtrela-
tionen zu tun hat, unter denen sich Kultur formiert. Der Kulturbegriff etwa in
Carl Sauers Lebenswerk wird als „radically undertheorized"3 getadelt, und die
„Totalität", die Kultur bei Sauer und seinen Schülern nach Ansicht der neuen
Kritiker konturlos umfasst, entzieht den Begriff jeder kritischen Selbstreflexi-
on: „Kultur" als gegebene Entität, als statische Elementarkategorie menschli-
chen Lebens, als „a superorganic entity living and changing according to a still
obscure set of internal laws".4

Die klassische Kulturgeographie US-amerikanischer Provenienz hat den
sozialen, ökonomischen und politischen Komponenten, die Kultur zu einem
Gegenstand permanenter Auseinandersetzungen werden lassen, wenig Auf-
merksamkeit zuteil werden lassen. Auch die Überlegung, dass Kultur als in-
dividueller Erfahrungsschatz auf der Ebene der einzelnen Personen generiert
und praktiziert wird, ist von den traditionellen Vertretern der Kulturgeogra-
phie nicht weiter vertieft worden. Zweifelsohne gebührt den „Neuen" Kul-
turgeographen das Verdienst, diesen Mangel thematisiert und in zahlreichen

Vgl. an dieser Stelle die Analogien zu einem der für die deutschsprachige Anfhropogeogra-
phie wichtigsten theoretischen Impulsgeber der vergangenen Jahre: Werlens Kritik an einer
„Essentialisierung" oder „Ontologisierung" des Raumes und seine ausführlichen Darlegun-
gen, wie „Raum" sozial konstruiert wird und sich aus alltäglichem Handeln ergibt. In dieser
Hinsicht ist Werlens Raumbegriff ähnlich „desubstantialistisch" wie der Kulturbegriff der
„Neuen" Kulturgeographie (Werlen 1987; 1995; 1997).
Mitchell 2000,29.
Zelinsky 1973,7if.
 
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