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Kempter, Klaus [Editor]; Boenicke, Rose [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0323

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Ethnizität und Bildungsverhalten 311

Studien auf die relationale, kontextabhängige Verfasstheit von Kultur hinge-
wiesen zu haben. Kultur ist danach nicht (nur) ein statisches Konglomerat von
Dispositionen, Präferenzen und Praktiken, das sich wie ein Überbau über gan-
ze Gesellschaften und Nationen wölbt, sondern (auch) ein individualisiertes
Phänomen von Werthaltungen, Anschauungen und Handlungskompetenzen,
das mit den Einstellungen anderer Personen und Gruppen interagiert und
dabei oft genug auch in Konflikt miteinander gerät. Nicht unwesentliche Im-
pulse für ihre Kritik bezog die New Cultural Geography aus der Rezeption der
britischen Cultural studies,5 die seit den 1960er Jahren der bis dahin gängigen
Vorstellung von „Hochkultur" eine „Massenkultur" gegenüberstellte und dabei
auch auf die Bedeutung von Medien und Konsum verwies. Die „Neue" Kultur-
geographie zielt auf die Räumlichkeit der kulturellen Ausdrucksformen mit
ihren Konflikten.6 Sie weist gleichzeitig darauf hin, dass die Konflikte ihrer-
seits neue räumliche Konstellationen und Arrangements schaffen.7 Mit dieser
Wende zum „Räumlichen" (spatiality), die sich für eine Reihe von kultur- und
sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen in deren Entwicklung der vergange-
nen ein bis zwei Jahrzehnte ableiten lässt, scheint der Stellenwert der (Kultur-)
Geographie nicht nur gesichert, sondern nun auch mit einem größeren Prestige
innerhalb der Scientific Community versehen, als es die traditionelle Kultur-
geographie jemals für sich beanspruchen konnte. Der Cultural turn ist auch ein
Spatial turn, und die (angelsächsische) Geographie hat daran beträchtlichen
Anteil.

Unter den vielfältigen Themen, welche die New Cultural Geography aus
anderem Blickwinkel betrachtet oder überhaupt neu in die Forschungsagenda
einbringt, stehen Fragen zur politischen Dimension von Kultur in der Dia-
lektik zwischen (sozialer) Reproduktion und (sozialer) Resistenz, zur sozialen
Konstruktion der Geschlechtlichkeit und deren Instrumentalisierung, zu Fe-
minismus, Rassismus und Nationalismus, zur Relativität von Wissenschaft und
Wissenschaftskulturen, zu postkolonialen Machtverhältnissen sowie zum Ant-
agonismus zwischen Mensch und Umwelt, Kultur und Natur im Vordergrund.
In jedem dieser Themenfelder werden Aspekte von Konflikt, Macht, Hegemo-
nie und Widerstand betont. Dass unter dieser thematischen Breite Aspekte von
Wissen, Bildung, Erziehung und Qualifikation nur einen unbedeutenden Stel-
lenwert einnehmen (wenn sie denn überhaupt zur Sprache gebracht werden),
erscheint aus mehreren Gründen bemerkenswert. Der New Cultural Geography
gelingt hier in einem wichtigen Punkt nicht, woraus sie sonst einen wesentli-

Einer der ersten Geographen, die an die Cultural studies anknüpften und diesen Forschungs-
strang in die Geographie überführten, ist Jackson (1989).
„Culture wars" im Sinne von Mitchell (2000).

Vgl. Mitchell 2000,63. „New cultural theory, as it is developing in geography, cultural studies,
and many allied disciplines, Stresses Space, understanding culture to be constituted through
space and as a space. To the degree that that is the case, spatial metaphors have become
indispensable for understanding the constitutions of culture."
 
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