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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0324

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312 Werner Gamerith

chen Teil ihrer Legitimation bezieht: konzeptionelle und inhaltliche Lücken der
klassischen Kulturgeographie zu schließen. Dass Wissen, Bildung und Schule
nicht oder nur marginal angesprochen werden, verwundert auch deshalb, weil
in den mittlerweile vorliegenden einschlägigen Lehrbüchern zur New Cultural
Geography genau jene Mechanismen und Zusammenhänge angesprochen wer-
den, aus denen kulturelle Praktiken und Konflikte resultieren und die für die
Reproduktion sozialer Machtverhältnisse und Beziehungsgeflechte von ent-
scheidender Bedeutung sind: Identitäten, Nationalismen, Aspekte von „gen-
der" und Ethnizität, Ideologien aus Werbung und Medien, bis hin zu Facetten
kultureller Basisbegriffe wie Literatur, Musik, Sprache oder Religion. Bildung
und Schule als Grundlagen der modernen Wissensgesellschaft scheinen jedoch
weit außerhalb des Fokus der neuen britischen und US-amerikanischen Kul-
turgeographen zu liegen. Ist nicht die Schule eine der zentralen kulturellen In-
stitutionen, und laufen in ihr nicht oft Prozesse ab, die sich gerade in die von der
New Cultural Geography ins Treffen geführte Trias von Hegemonie, Widerstand
und Konflikt einpassen lassen? Wenn Kultur und von ihr geprägte Landschaf-
ten als Medium und System sozialer Reproduktion interpretiert werden,8 wäre
hier nicht eine ausführliche Würdigung auch des Themenfelds „Schule und Bil-
dung" angemessen? Schließlich sind es gerade Schulen und schulische Struk-
turen wie Lehrinhalte oder didaktische Fragen, an denen kulturelle Identitäten
generiert, ausgehandelt, weitertransportiert, aber auch unterdrückt, eliminiert
oder sanktioniert werden. Davon ist in kaum einem Lehrbuch zur New Cultural
Geography, nicht einmal in Ansätzen, die Rede.9 Auf US-amerikanischer Seite
fehlt die Tradition einer geographischen Bildungsforschung,10 wie sie sich in
der deutschsprachigen Geographie spätestens seit den 1960er Jahren etablieren
konnte.11

Abstinenz von Fragen zu Schule, Erziehung und Bildung lässt die deutsch-
sprachige (Sozial-)Geographie hingegen nicht erkennen, wenngleich die hier
benutzten Ansätze und theoretischen Konzeptionen nicht von einer „Kultur"-
Geographie im neueren Verständnis, sondern eher vom Typus einer empi-
risch unterlegten Sozialraumanalyse sprechen lassen. Die von Geipel, Mayr

8 Vgl. z. B. Mitchell 2000, i2off.

9 Nach den Schlagworten „education" oder „schooling" sucht man im Index des im Übrigen
umfassenden Lehrbuchs von Mitchell (2000) vergeblich, und im Buch werden Bildungsfragen
tatsächlich nicht angeschnitten. Auch die - kompaktere - Darstellung von Crang (1998) hält
sich diesbezüglich sehr bedeckt. Zwar werden semiotische Aspekte einer „neuen" Kulturgeo-
graphie, etwa in der Interpretation von literarischen Werken aus der Belletristik, ausführlich
gewürdigt und Musik und Film als Träger von Kultur (mit einer räumlich konnotierten Se-
mantik) angesprochen, die Darstellung von Wissen, Information (und Schule) bleibt jedoch
auf die Analyse unterschiedlicher Wissenschaftskulturen und „Epistemologien", vor allem mit
den Werkzeugen des Postkolonialismus, beschränkt.

10 Von einigen Ansätzen im Gefolge der Chicagoer Schule der Sozialökologie der 1930er Jahre
abgesehen (vgl. Meusburger 1998).

11 Vgl. Meusburger 1995.
 
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