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Kempter, Klaus [Editor]; Boenicke, Rose [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0346

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334 Heike Jons

wies Thomas Kuhn darauf hin, dass wissenschaftliche Methoden, theoreti-
sche Konzepte sowie Kriterien zur Beurteilung von Problemen und zur An-
erkennung von Lösungen keineswegs universell gültig sind, sondern über die
Zeit hinweg variieren.3 Mit dieser Abgrenzung gegenüber wissenschaftstheo-
retischen Positionen, die sich mit universellen logischen Regeln zur Beurtei-
lung der Gültigkeit wissenschaftlicher Behauptungen befassen, ordnete er das
Verhältnis von Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie neu.4 Über
zwanzig Jahre später betonten Bruno Latour und Donna Haraway den zeitlich
und räumlich situierten Charakter wissenschaftlicher Praxis und Ideen und
wiesen damit daraufhin, dass die von Kuhn genannten Aspekte nicht nur über
die Zeit hinweg, sondern auch zwischen verschiedenen räumlichen Kontexten
zu einer bestimmten Zeit variieren.5

Wichtige Einsichten zur räumlichen Bedingtheit der Produktion und Ver-
breitung wissenschaftlichen Wissens wurden seit den 1990er Jahren von David
Livingstone in dem Entwurf einer Wissenschaftsgeographie als eigenständiges
Interessensgebiet interdisziplinärer Wissenschaftsforschung systematisiert.6
Parallel zu diesen Entwicklungen konzeptionalisierte Peter Meusburger seit
Anfang der 1980er Jahre Zusammenhänge zwischen Wissen und Raum für ver-
schiedene Arten des Wissens mit Blick auf die räumliche Organisation von
Arbeitsplätzen und sozialen Systemen.7 Auf Grundlage dieser Arbeiten kann
ein Zusammenhang zwischen der Produktion, Verbreitung und Verarbeitung
wissenschaftlichen Wissens und spezifischen räumlichen Kontexten als gesi-
chert gelten, jedoch bedarf die Art dieses Zusammenhangs zu bestimmten
Zeiten und an bestimmten Orten weiterer Klärung.

Aufbauend auf den Erfahrungen renommierter US-Wissenschaftler mit zir-
kulärer akademischer Mobilität wird im Folgenden argumentiert, dass wissen-
schaftliche Arbeit und Interaktion als wichtige Basis einer postulierten Wis-
sensgesellschaft auf vielfältige Weise sozial und räumlich strukturiert sind.
Während die resultierenden Begrenzungen und Beschränkungen individu-

Kuhn 1962.
Vgl. z. B. Blume 1977.

Latour 1987, Haraway 1988. Haraways Konzept des situierten Wissens besagt, dass alles Wissen
in physisch begrenzte Körper und Artefakte eingebettet ist, die jeweils nur unvollständige, da
aus einer spezifischen Perspektive gewonnene Erkenntnisse erlauben. An Stelle des Blicks von
überall und nirgendwo tritt die Betrachtung von irgendwo. Zugleich werden die Vorstellung
einer von lokalen Bedingungen abgekoppelten, neutralen wissenschaftlichen Objektivität und
der Glauben an eine einzige, endgültige und makellose Wahrheit verworfen (Haraway 1988,
176-182). Zur Überwindung der Unvollständigkeit des eigenen, lokal konstruierten oder er-
worbenen Wissens sei das Ziel wissenschaftlicher Arbeit, durch Kommunikation über den
eigenen Standort hinaus eine erreichbare Objektivität zu erlangen. Latours Konzept der Akku-
mulationszyklen in Zentren wissenschaftlicher Kalkulation wird im zweiten Abschnitt näher
erläutert.

Livingstone 1995,2002,2003.
Meusburger 1980,1998,2000.
 
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