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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0377

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Aktuelle Probleme der Wissensgesellschaft: Bildung, Arbeit und Wirtschaft 365

Schaftswissenschaftler sieht in dem Ungleichgewicht zwischen Angebot und
Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, sei es nun kurz- oder langfristig, ausschließ-
lich eine Reaktion auf die starre Lohn- und Abgabenstruktur dieses Marktes.
Es trifft aber nur in sehr enger, formaler Auslegung zu, dass völlige Lohn-
flexibilität das Problem der Arbeitslosigkeit lösen kann.5 Arbeit ist selbst in
der modernen Gesellschaft, wo häufig Bedenken geäußert werden, sie sei zum
bloßen Broterwerb geworden und habe daher gewisse traditionelle Werte wie
den der Berufung verloren, mehr als nur ein existenzielles Bedürfnis. Eine nur
auf die materielle Funktion der Arbeit begrenzte Sichtweise lässt eine ganze
Reihe von Gründen unberücksichtigt, die nicht nur zu dem Wunsch nach Ar-
beit und bestimmten Arbeitskonditionen, sondern auch zur Arbeitslosigkeit
einschließlich einer absichtsvollen Nichtarbeit führen.

Mein Hauptinteresse in diesem Kontext gilt der Herausbildung der „säku-
laren" Arbeitslosigkeit und nicht primär der Überlegung, auch diese Form der
Arbeitslosigkeit sei letztlich Ausdruck von Marktunvollkommenheiten, also
etwa der Tatsache, dass viele Individuen nicht bereit sind, schlechtbezahlte
Berufstätigkeiten und -bedingungen zu akzeptieren.

Der zukünftige und der gegenwärtige gesellschaftliche Stellenwert und der
Umfang der Arbeit gehören eigentlich seit Jahrhunderten zu den zentralen
theoretischen Interessen der Sozialwissenschaft. Arbeit, so war man sich lan-
ge mit Marx einig, ist kongruent mit der Selbsterzeugung des Menschen. Im
achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert war für die Sozialwissenschaftler
die Frage nach der Zukunft der Arbeit identisch mit der Emanzipation von
der großen physischen Arbeitsbelastung durch eine Reduktion der Arbeits-
zeit, größere Autonomie und interessantere Arbeitsaufgaben. Man ging aber
allgemein davon aus, eine Befreiung von bestimmten Aspekten der Arbeit sei
wahrscheinlicher als etwa von einem in einer bestimmten Weise strukturier-
ten Arbeitskontext, der Eigentümer und Arbeiter in einem unversöhnlichen
Gegenüber sah und die Selbstverwirklichung des Arbeiters in der Arbeitswelt
verhinderte. Noch utopischer war die Vorstellung, dass es zu einer verbreiteten
Entlastung von Arbeit kommen könnte. Die Schlussfolgerung, dass das Eman-
zipationspotential der Industrialisierung im Sinne einer Reduzierung der Ge-
samtarbeitszeit verwirklicht worden sei, wird kaum auf Widerspruch stoßen.
Aber selbst noch im vergangenen Jahrhundert waren viele Sozialwissenschaft-
ler der Ansicht, dass der Arbeiter seine Selbstverwirklichung sehr viel wahr-
scheinlicher außerhalb der Arbeitswelt durchsetzen kann.6 Diese Logik folgte
dem herrschenden Verständnis von den (inhärenten) Zwängen der modernen
Produktionsbedingungen und den Folgen der Konzentration der Eigentums-
rechte und findet seinen Ausdruck in der weithin akzeptierten Prämisse, dass

5 Lundvall 1995,36.
Z. B. Friedmann 1956,1992.
 
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