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Kempter, Klaus [Hrsg.]; Boenicke, Rose [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Bildung und Wissensgesellschaft — Berlin, Heidelberg [u.a.], 49.2005 (2006)

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https://doi.org/10.11588/diglit.2246#0404

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392 Dieter Langewiesche

schung verpflichtet, denn nur durch sie konnte er sich beruflich qualifizie-
ren und auf eine Professur hoffen, trieb er den wissenschaftlichen Fortschritt
durch stetige Spezialisierung voran, und als staatlich unbesoldeter Lehrer, der
Hörgelder von den Studenten erhielt, sorgte er dafür, dass die Ausbildung trotz
der anschwellenden Studentenzahlen weiterhin funktionierte, und zwar auf
der Grundlage eigener Forschung. Im Gegensatz zum Professor war der Pri-
vatdozent eine Gesellschaftsfigur - als Forscher ein glücklicher Mensch, doch
wenn er von seiner Forschung und Lehre leben, ein gesichertes Einkommen
erzielen wollte, ein Hasardeur, wie ihn schon Max Weber genannt hatte. Immer
länger mußte er im „Fegefeuer des Privatdozententums" ausharren. Schon 1910
hatte Max Lenz es in seinem Werk zum hundertjährigen Jubiläum der Berli-
ner Universität beklagt.4 Seit dem Wandel zur modernen Forschungsuniver-
sität wurden nämlich, und das bis heute, die Qualifikationshürden zur Uni-
versitätsprofessur zunehmend erhöht, der Hürdenlauf dauerte immer länger
und sein Ausgang wurde ungewisser. 1910 stellte der sogenannte ordentliche
Lehrkörper an allen deutschen Universitäten, also diejenigen, die ein staat-
liches Gehalt erhielten, zu dem die Hörergelder als veranstaltungsbezogene
Studiengebühren kamen, nur noch etwa ein Drittel aller dort Lehrenden. An
der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin wuchs im Laufe des
19. Jahrhunderts die Zahl der Lehrenden um etwa das Achtfache, die Zahl der
Ordinarien hingegen nur um das Vierfache, während das Heer der Extraordi-
narien und der Privatdozenten um das Zwölffache anschwoll.5

Diese Form von Wissenschafts- und Universitätsentwicklung kann heu-
te kein Vorbild sein. Doch es würde sich lohnen, darauf zu achten, wie man
damals erreichte, daß die Universitätsexpansion der Forschungsentwicklung
folgte, und zwar ohne das Zwangsgehäuse administrativer Gesamtplanung und
Detailsteuerung. Die damalige Universität präsentiert sich im Rückblick wie
ein großes Laboratorium, in dem die Forscher als Individuen Neues erkunden,
ihre Ergebnisse zur Diskussion stellen, und nur was sich in ihr durchsetzt, wird
in die Universität dauerhaft aufgenommen - in Gestalt einer neuen Profes-
sur, eines neuen Instituts. Daraus entstehen dann neue Fächer oder Teilfächer,
die in der Examensordnung verankert werden. Der administrative Akt sei-
tens der Universität oder des zuständigen Ministeriums steht am Ende dieses
Entwicklungsprozesses. Er kennt weder eine zentrale Gesamtplanung noch
zentrale Steuerungsmechanismen. Und selbstverständlich gab es auch nicht
die fürsorgliche Guillotine, unter die Frau Ministerin Bulmahn diejenigen For-
scher legen läßt, die nicht innerhalb von zwölf Jahren den Sprung vom Examen
auf die Professur geschafft haben. Sie müssen nun den Forschungsmarkt ver-
lassen, auch wenn dieser willens ist, sie zu honorieren, weil er ihre Leistungen

Lenz 1910-1918, Schmeiser 1994. Wichtig dazu, mit den genauesten Zahlen über den Berufsweg
von Dozenten: Paletschek 2001b.

Wagner 1896, 20; weitere Daten und Fachliteratur: Langewiesche 1994, 2001b. Die besten
Zahlen: Paletschek 2004.
 
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