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XIII. Es bleiben Fragen

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ehn Jahre stadtarchäologische Forschungen in Verbindung mit intensiven
historischen Recherchen im städtischen Archiv haben ein vielfältiges Bild der
Entwicklung Einbecks vom 12. bis zum 19. Jh. entstehen lassen. Dies darf jedoch
nicht darüber hinwegtäuschen, daß Einbecks Vergangenheit noch zahlreiche
„weiße Flecken“ aufweist, die es durch künftige Forschungen zu schließen gilt. So
fehlen vor allem archäologische Untersuchungen im Stiftsbezirk, die der Frage
nach den ältesten Wurzeln Einbecks und dem bislang nicht lokalisierten Grafenhof
gelten müßten. Im Bereich des Marktplatzes, der Marktstraße und der Tiedexer
Straße fehlt es an Ausgrabungen in und unter den Fläusern, um dem Aussehen der
ältesten Bürgerhäuser und der Frage nach frühen Steinwerken und Steinhäusern
nachgehen zu können. Sofern sich die Gelegenheit ergibt, sollte auf jeden Fall
zumindest ein patrizisches Grundstück fachübergreifend baugeschichtlich und
archäologisch untersucht werden. Was die archäologisch-bauhistorische Haus-
forschung anbetrifft, ist der Bereich der Neustadt weitestgehend unbekannt. Es ist
anzunehmen, daß sich bei Untersuchungen von Einzelgrundstücken oder
größeren Arealen wesentliche neue Erkenntnisse zum Einbecker Hausbau und
seiner Entwicklung ergeben würden.
Die Ausgrabungen an der Stadtbefestigung (708,1) haben zahlreiche bislang
unbekannte Informationen erbracht und die zeitliche Abfolge der Entwicklung
geklärt. Gleichwohl bleiben Fragen. So fehlt es bisher z.B. an einer unmittelbaren
dendrochronologischen Datierung der Stadtmauer. Ungeklärt ist auch, wie die
Querung der ehemaligen Aue des Krummen Wassers technisch bewerkstelligt wurde.
Die Erforschung der Einbecker Kirchen und Kapellen steckt noch ganz in den
Anfängen, da die bisherigen Dokumentationen in keiner Weise heutigen wissen-
schaftlichen Ansprüchen genügen. Das Nonnenkloster auf der Neustadt, das
Marienstift vor Einbeck und der Amelungsborner Klosterhof müssen als weitest-
gehend zerstört gelten. Der Untergrund von St. Alexandri und St. Jacobi ist in
einem unbekannten Ausmaß durch Heizungseinbauten zerstört. Vor diesem
Hintergrund müssen künftige bauliche Maßnahmen im Umfeld und im Innenraum
von Einbecks Kirchen besonders intensiv begleitet und zur Forschung genutzt
werden. Weitestgehend erhalten sind nur noch die Reste des Augustinerklosters
unter den Parkplätzen des Möncheplatzes, die aus diesem Grund eines besonderen
denkmalpflegerischen Schutzes bedürfen. Trotz einer Teilzerstörung haben sich
auch von der abgebrochenen Neustädter Kirche noch so große Teile im Boden
erhalten, daß eine künftige Überbauung dieses Geländes nur nach vorheriger
archäologischer Untersuchung erfolgen sollte.

rechts:
708 Aufgaben der Zukunft:
1 Archälogische Forschung.
2 Erforschung der Sachkultur.
3 Aufarbeitung der Handwerksgeschichte.
4 Edition der Einbecker Urkunden.

Die Geschichte des Einbecker Rathauses, des repräsentativsten Gebäudes der Stadt,
muß bei künftigen baulichen Maßnahmen dringend weiter erforscht werden. Der
archäologische Schlüssel zur Frühgeschichte des Gebäudes liegt in den heute nicht
zugänglichen Kellerbereichen. Auch Kapelle, Krypta und Gebäude des Heilig-Geist-
Hospitals bedürfen weiterer Aufmerksamkeit.
Die wissenschaftliche Erforschung der materiellen Kultur des Mittelalters und der
frühen Neuzeit (708,2) steckt in Einbeck noch in den Anfängen. Jede Ausgrabung
bringt neues und bislang noch unbekanntes Fundmaterial an den Tag. Besonders
wünschenswert wäre eine kombinierte historisch-archäologische Vorgehensweise.
Dabei sollten sowohl die Archivalien der Einbecker Gilden und Handwerker (708,3)
bearbeitet als auch die archäologischen Funde mustergültig ediert und in ihrer
Bedeutung für die Kultur- und Handwerksgeschichte eingeordnet werden. Mittel-
alterliche Lebens-, Umwelt- und Ernährungsverhältnisse der Einbecker Bürger
werden nur deutlich, wenn es in Zukunft gelingt die umfangreich vorliegenden
zoologischen und botanischen Probenserien wissenschaftlich auszuwerten.
Die Vielzahl der erhaltenen historischen Gebäude, die Mächtigkeit und die guten
Erhaltungsbedingungen der mittelalterlichen Schichten und die trotz des Stadt-
brandes von 1540 durchaus gute archivalische Überlieferung (708,4) machen
Einbeck zu einem überregional bedeutenden Studienobjekt. Die Kartierung der
archäologischen Aktivitäten der Jahre 1991 bis 2001 zeigt überdeutlich, in welchem
Umfang archäologische und bauhistorische Quellen zur Stadtgeschichte in den
vergangenen zehn Jahren und davor vernichtet wurden. Die Erosion des „Boden-
und Hausarchivs“ erfolgt schleichend, aber kontinuierlich. Stadtarchäologie ist
die letzte Möglichkeit, die unwiederbringlichen Quellen zumindest in Form
wissenschaftlicher Dokumentationen und populärer Veröffentlichungen zu bewahren.
Auch in Zukunft ist es daher sinnvoll und notwendig alle vorkommenden
Bodenaufschlüsse im Stadtgebiet zu kontrollieren und gefährdete Areale gezielt
vor Baubeginn auszugraben. Stadtarchäologie braucht Kontinuität. Stadtarchäologie
schreibt Geschichte. Eine Stadt ohne Geschichte hat keine Zukunft.
 
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