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Heidelberger Familienblätter — 1862

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Nr. 104 - Nr. 115 (3. September - 28. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43183#0432

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428 —

Nirgends entdeckte ſie das verhängnißvolle Papier. Da fiel ihr
Blick auf den Teppich. Ja, da lagen die Theile eines Papiers, dieſe
mußte ſie um jeden Preis erlangen, aus dieſen Theilchen konnte ja das
Ganze zuſammengeſtellt, einzelne fehlende Worte aus dem Sinn des gan-
zen Satzes ergänzt werden.
Ihr Dichten und Trachten ging dahin, in die Nähe dieſer Papier-
ſtreifen zu gelangen und dieſelben auf eine gute Art an ſich zu bringen,
ohne Aufſehen zu erregen.
Die Herzogin lenkte das Geſpräch auf den Koſtümball, welcher den
andern Tag im Schloſſe ſtattfinden ſollte und dieſer Ball blieb auch für
den ganzen Abend der Angelpunkt der Unterhaltung. Um 10 Uhr ver-
abſchiedete die Herzogin ihre Damen und in der allgemeinen Bewegung,
welche entſtand, hatte die Oberſtallmeiſterin, welche ſich im Hintergrunde
gehalten hatte, Gelegenheit, ſo raſch, als es ihre Korpulenz erlaubte,
e inige der Papierſtreifen aufzuheben; alle konnte ſie nicht erlangen, denn
die Gräfin Röder, eine der jüngeren Hofdamen und der Liebling der
Herzogin, ſtand vor ihr und das zarte Füßchen deckte einige dieſer wich-
tigen Theilchen. Doch ſie tröſtett ſich: aus den Theilen, welche bei wei-
tem die Mehrzahl waren, mußte des Inhalts genug zu entnehmen ſein.

(Fortſetzung folgt.)

Vermiſchtes.

Ein eigener Schwindel iſt dieſer Tage
in Berlin zu Gunſten einer Beneftzvorſtellung
in einem Vorſtadttheater, um das Haus zu
füllen, verübt worden. Mehrere Tage vor
dem Benefizabend erſchien in den hieſigen Lo-
calblättern ein „reelles Heirathsgeſuch.“ Ein
Anonymus ſucht für ſeine Mündel und Nichte,
die ein baares Vermögen von 15,000 Thlr.
und eine Fabrik beſitzt, einen Gatten, welcher
die Leitung der Fabrik übernehmen kann. Bei
den Zeitungs⸗Expeditionen gehen alsbald hun-
derte von Briefen Heirathsluſtiger ein, die
ſämmtlich geſtern Morgen durch die Stadtpoſt
einen mit A. Gehrmann unterzeichneten Brief
erhalten, des Inhalts: „Das Wichtigſte iſt,
ob Ihnen meine Nichte gefällt. Ich werde
daher mit ihr heute Abend im Theater, Loge
Nr. 1, erſcheinen. Wenn Sie wollen, kön-
nen Sie uns anreden.“ Natürlich löste jeder
Heirathsluſtige ein Parquetbillet und harrte
des Onkels und der Nichte — vergeblich. Der
Beneficiat aber hatte den Vortheil davon.

(Humoreske.) Das „Augsburger An-
zeigeblatt“ enthalt folgendes humoriſtiſche Ein-
geſandt:
„Wenn!“ —.
Wenn der Out öfterreichiſche Papiere

Und der Papſt nach Moskau geht und Schlitt-
ſchuh lauft —
Wenn Victor Emanuel für den Münchener
Volksboten Artikel ſchreibt
Und Mazzini mit Antonelli Kegel ſcheibt —
Wenn der Hecker als Geſandter in Berlin brillirt
Und der Czaar Herrn Herzen zum Geburts-
tag gratulirt —
Wenn der Kaſſ'ler Kurfürſt zählt zum Na-
tionalverein
Und die weutſche Flotte läuft zu Kopenhagen
ein —
Wenn der Sultan Aziz als ſolider Ehemann
bt

le
Und der Fould den Rothſchild aus der Taufe
ebt —
Wenn der deutſche Bund hat ein Central-
organ
Und der Ronge in Madrid wird Hofcaplan —
Wenn man in Berlin ſich deutſch frifirt
Und Hannovers Welf beſſer katechismuſirt —
Wenn der Mörder Sobbe ſitzt auf Lebenszeit
Und auch Haueknechtsblut zum Himmel ſchreit —
Wenn ein Volk für Heeresaufwand freudig
blecht
Und der Palmerſton den rothen Adler möcht' —
Wenn dies Alles und noch Anderes iſt ge-
ſchehen,
Wird der Retter der Geſellſchaft in's Kloſter
gehen.

Redaction, Druck und Verlag

von Adolph Emmerling.
 
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