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Heidelberger Familienblätter — 1862

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Nr. 143 - Nr. 154 (3. December - 31. December)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43183#0573

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Heidelberger Kamilienblätter.

Nr. 143. Mittwoch, den 3. December 1862.

Die blonden Locken.

(Fortſetzung und Schluß.)

„Ich will Ihnen die Locken ablaſſen, aber unter der Bedingung,
daß Sie reinen Mund halten. Das Fräulein hat mich um Stillſchwei-
gen gebeten, da ſie ſonſt Ungelegenheit mit ihrem Bräutigam fürchtet.
Ich habe mieine Friſeurparole gegeben und muß mein Wort halten.“
Während der verſchwiegene Haarkünſtler ſchmunzelnd das Geld ein-
ſtrich, nahm der entzückte Käufer den goldenen Schatz und entfernte ſich
ganz erfüllt von dem Bilde des hochherzigen Mädchens, feſt entſchloſſen,
um jeden Preis ſich ihr zu nähern und ſie aufzuſuchen. Er war reich
und unabhängig, ein wohlhabender Gutsbeſitzer aus der Mark. Seine
Mutter, die er über Alles liebte, hatte ſchon längſt gewünſcht, ihn zu ver-
heirathen, aber der Ernſt der Zeit und der hohe Begriff, den er von der
Liebe hegte, hatten ihn bisher zurückgehalten, ihrem Rathe zu folgen. Nur
ein Gedanke erfüllte ausſchließlich ſein edles Herz, die Befreiung des
Vaterlandes von dem Joche der ihm verhaßten Franzoſenherrſchaft. Bei
dem erſten Aufrufe des Königs war er freiwillig nach Breslau und zu
dem Heere geeilt, um an dem heiligen Kampfe Theil zu nehmen. Von
ſolchen Geſinnungen beſeelt, mußte er in Hedwig das Ideal ſeiner Träume
ſehen, mit unwiderſtehlicher Gewalt zog es ihn zu dem von gleichen Ge-
ſinnungen beſeelten Mädchen hin. Alles, was er von dem geſchwätzigen
Friſeur erfahren, ſteigerte nur das Intereſſe, welches er an ihr nahm,
und diente ſeiner aufkeimenden Neigung. — ö
Unterdeſſen hatte der ergrimmte Materialwaarenhändler ſeine
Drohung zur Wahrheit gemacht; in Begleitung eines Executors verlangte
er die ſofortige Räumung des Dachſtübchens, das die arme Mutter Hed-
wig's bisher bewohnt; zugleich ließ er auf die noch etwa vorhandenen
Möbel und Kleidungsſtücke unbarmherzig Beſchlag legen, um ſich für die
noch ſchuldige Miethe bezahlt zu machen. Weinend ſaß die betrübte Wittwe
in der Mitte der ausgeleerten Stube auf einem gebrechlichen Stuhl; an
ihrer Seite ſtand die nicht minder traurige Hedwig, bemüht ihr Troſt
und Muth einzuſprechen. ö ö
„Wo ſollen wir jetzt hin?“ jammerte die Mutter, die Hände ringend.
„In's Armenhaus, wohin das hochmüthige Volk gehört!“ ſchrie Herr
Krauſe mit ſchadenfrohem Grinſen. „Der Krug geht ſo lang zum Waſ⸗ͤ
ſer, bis er bricht.“ ö ‚
„Haben Sie doch wenigſtens ſo lange Geduld, bis wir ein paſſen-
des Unterkommen gefunden haben. Wir können doch nicht auf der Straße
übernachten.“
„Was geht das mich an? Mag doch das Fräulein ſehen, wo es
bleibt. Sie hat es ja nicht beſſer gewollt. Natuͤrlich ein ehrlicher Bür-
 
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