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Heidelberger Familienblätter — 1863

DOI Kapitel:
Nr. 25 - Nr. 37 (1. März - 29. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43184#0129

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hHeidelberger kamilienblätter. —

Nr. 33. reitag, den 20. Marz 1863.

Ein unbeſtrafter Mord.

Criminalgeſchichtliche Studie von Karl Ch op.

Das Intereſſe an Verbrechergeſchichten zieht ſeine Nahrung aus den
verſchiedenſten Wurzeln. In dem einen Falle regt uns namentlich die
innerliche Conſequenz an. Wir ſehen aus einem ſchwachen Keime das
Böſe emporwachſen, wir verfolgen mit ſchanderndem Intereſſe den Schritt
des Unglücklichen, der über die Banngrenzen des Menſchlichen und Er-
laubten in das Gebiet unheimlicher Dämonen hinüberführt. Reue und
Strafe verwandeln auch hier, wie im Drama, die Furcht des Leſers all-
mälig in Verſöhnung. In einem andern Falle übt nur das Ungeheuerliche
der That ſeinen prickelnden Reiz. Hier waltet, wenn auch oft nur in-
ſtinctiv, in dem Leſer das Intereſſe des Forſchers vor. Wir ſuchen in
der monſtröſeſten Ausnahme nur die Beſtärkung der erkannten Regel. Da,
wo uns die Kenntniß der Regeln oder der Forſchertrieb ſelbſt abgeht, da
verwandelt ſich auch das erlaubte Intereſſe in eine tadelnswerthe Hin-
neigung nach dem abſolut Abſcheulichen. ö
Bei einer dritten Claſſe von Criminalfällen regt uns wohl das Ge-
heimnißvolle einer dunklen That, oder der Scharfſinn des Unterſuchungs-
richters an. Wir verfolgen mit Spannung das Wachsthum des erſten
noch ſchwankenden Verdachts, wir ſehen, wie ſich Faden an Faden zu
einem Netze für den Thäter zuſammenknüpft, wie der Verfolgte ſich hier
ſchlau den gefährlichen Maſchen entwindet, dort mit einem kühnen Streiche
das Gewebe allzufeiner Folgerungen zerreißt, und dennoch meiſt den Be-
drängern zuletzt erliegt.
Das Verbrechen, welches wir heute erzählen wollen, hat Jahre lang
halb Deutſchland in fieberhafter Aufregung erhalten. Gleichwohl läßt es
ſich keinem der beſprochenen Fälle mit Entſchiedenheit beizählen, und trägt
doch einzelne Kennzeichen von allen an ſich. Es handelt ſich hier um einen
unentdeckten, oder doch unbeſtraften, Mord. ö ö
Noch jetzt taucht in trüben Herbſtnächten aus den ſprudelnden Ge-
wäſſern des Rheins geſpenſtiſch ein blutiges Haupt empor und fordert von
der Nachwelt eine Sühne, welche ihm die Mitlebenden verſagen mußten.
So möge denn noch ein Mal der Leſer, als Theil jener Nachwelt, Schwert
und Wage in die Hand nehmen und über die That wie ein Geſchworener
richten. Er zürne dem Erzähler nicht, wenn die Stück um Stück bald
auf die Schale der Schuld, bald auf jene der Unſchuld fallenden Gewichte
hin und wieder allzuleicht erſcheinen ſollten. Jedes Sandkorn hat ſeine
weſentliche Bedeutung, wenn es ſich um ein todeswürdiges Verbrechen
handelt, und wo alle Richter irren, da ſoll die Nachwelt gerecht entſcheiden.
 
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