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Heidelberger Familienblätter — 1863

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Nr. 1 - Nr. 12 (4. Januar - 30. Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43184#0045

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heidelberger Familienblätter.

Nr. 12. Freitag, den 30. Januar 1863.

Aus den Erinnerungen eines alten Soldaten.
Erzählt von Fr. Wilibald Wulff.

ö ö (Fortſetzung.) ö * ö
„Herr von R... iſt bereit, vor Ihnen zu erſcheinen, Excellenz,“ ſo
lautete die Meldung, welche an den Commandanten gerichtet war.
„Iſt es Ihnen recht, Ihren Sohn jetzt ſchon zu ſehen,“ fragte der
Letztere, indem er ſich an meinen Begleiter wandte, deſſen entſtellte Züge
den Kampf in ſeinem Innern deutlich verriethen. ö
„Laſſen Sie ihn eintreten, Excellenz,“ murmelte er kaum hörbar.
„Was wollen Sie mit ihm beginnen?“ fragte der Commandant.
„Ich werde thun, was meine Pflicht als Soldat mir gebietet,“ ent-
gegnete der General in dem Tone eines Mannes, der feſt entſchloſſen iſt,
ſeinen Willen durchzuſetzen. — ö
Die Thür öffnete ſich und in Begleitung des wachehabenden Officiers
erſchien der junge R... auf der Schwelle des Gemaches. Man hatte
ihm nicht geſagt, daß er ſeinen Vater hier finden würde und er trat
deshalb bis in die Mitte des Zimmers vor, ohne das Auge zu erheben.
Ich hatte in dieſer Zeit Muße genug, ihn forſchend anzuſehen. Er war
nachläſſig gekleidet und hatte ganz das Ausſehen eines Menſchen, den eine
ſchwere Schuld zu Boden drückt. So ſehr ich ihn auch vorher verdammt
hatte, ſo war doch ſein Ausſehen allein ſchon geeignet, mein Mitleid zu
erregen. Seine früher ſo ſchlanke, ſtolze Geſtalt erſchien gebrochen und
ſeine Haltung gebeugt und unſicher. Sein Geſicht war mit einer Leichen-
farbe überzogen. ö ö ö ö
„Ew. Excellenz haben mich rufen laſſen,“ begann er mit unſicherer
Stimme. „Was ſteht zu Dienſten?“
„Erhebt das Auge, junger Mann. Dort ſteht Euer Vater,“ entgeg-
nete der Commandant im höchſten Grade rückſichtslos.
Ein dumpfer Aufſchrei entfuhr dem Munde des Jünglings. Ich wandte
meinen Blick auf den General. Er war ebenſo bleich, als ſein Sohn,
aber ſeine Augen flammten und ſein ganzes Weſen gab Kunde von der
Willensſtärke, welche ihn beſeelte. Nicht eine Miene in ſeinem Antlitz
veränderte ſich, als er an die Seite ſeines Sohnes trat. Ich hielt den
Athem zurück, ſo geſpannt war ich auf den Ausgang dieſer Scene. Auch
auf den Lippen des Feſtungscommandanten erſtarb das ſpöttiſche Lächeln,
welches ſonſt faſt immer auf ſeinem Geſicht zu finden war und machte
dem Ausdrucke der Erwartung Platz. Ich befand mich in einer verteu-
felten Stimmung und hätte ein Jahr meines Lebens darum gegeben, wenn
ich es hätte vermeiden können, Zeuge dieſes Familiendrama's zu ſein.
 
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