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Heidelberger Familienblätter — 1863

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Nr. 103 - Nr. 115 (2. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43184#0421

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Heidelberger Zamilienblätter.

Nr. 106. * Mittwoch, den 9. September ö ö 1863

Die bleiche Gräfin.
Roman aus der Geſellſchaft von Hans Wachenhuſen.

Fortſetzung.); — ö
„Um Gottes Barmherzigkeit willen!“ ſchrie Leontine, von namenloſer
Angſt erfaßt. „Sie ſagten, ich habe Ihnen meine Hand entzogen! That
ich das? (Der Chevalier bemächtigte ſich der ſchönen Hand wieder, ohne
daß Leontine es zu bemerken ſchien) . . . Nein, nein! halten Sie mich
nicht für eine Undankbare; ich bin es nicht! Was mein armes Herz
Ihnen an Freundſchaft gewähren kann, . . ach, es ſoll ja ſo gern ge-
ſchehen; was es an Vertrauen für Sie zu faſſen vermag, Alles gehört
Ihnen . . . Nur verlaſſen Sie mich nicht, verderben Sie Guſtav nicht!
Vielleicht ... vielleicht. — ö ö
Leontinens Stimme ward hier ſchwächer, das letzte „vielleicht“ war
nur ein matter Hauch. Eine kurze Pauſe trat ein.
„O Gott im Himmel, erbarme Dich eines armen, unglücklichen Ge-
ſchöpfes!“ rief Leontine, die Hände faltend. „Sei mir ein Retter, ein
Beſchützer, wenn das Herz mir bricht!“ ö ö
„Dieſen Retter, dieſen Schützer, Leontine, ſandte Ihnen der Himmel
bereits! Sehen Sie nicht ſeinen Fingerzeig, und wäre es nicht ſtrafbar,
ihn zu verſchmähen?“ ö —
Leontinens Haupt war zurückgeſunken; ſie war ſo kraftlos, daß ſie
ſich nicht aufrecht zu erhalten vermochte; ſie ſchloß ihr Auge vor den ent-
ſetzlichen Bildern, welche ſich ihr als Zukunft aufdrängten. Der Chevalier
hatte ſich kaum merkbar neben ſie geſetzt, er legte den Arm um ihren Leib.
Leontine ſchien gefühllos, nur ein Seufzer aus tiefer Bruſt verrieth noch
Leben an ihr. ö ö ö
Luzie hatte Alles mit angehört. Eine namenloſe Angſt bemächtigte
ſich ihrer, als dieſe Stille eintrat. Selbſt auf die Gefahr hin, dem Ver-
haßten, dem ſie ſo gern aus dem Wege ging, entgegen zu treten, eilt ſie
zur Außenthür, ſchlug dieſe heftig zu und trat mit all der Faſſung, welche
ſie in der Eile zu erringen vermochte, in das Zimmer zurück. Ein Zufall
hatte ſie zur Mitwiſſerin eines dopelten Geheimniſſes gemacht; ſie kannte
jetzt die Urſache von Leontinens Kummer, ſie wußte ihre Freundin unter
dem dämoniſchen Einfluß deſſelben Mannes, dem ſie ſelbſt ſdeben erſt
entronnen zu ſein glaubte. ö ö ö —
„Eine bange Minute verſtrich. Da öffnete ſich die Thür und Leontine,
bleich, mit gerötheten Augenlidern, trat in das Vorzimmer. Sie erſchrack,
als ſie Luzie ſah. Durch ein forcirtes Lächeln ſuchte ſie aber ihre innere
Aufregung zu verbergenz ſie eilte auf Luzie zu, drückte einen freundſchaft-
lichen Kuß auf ihre Lippen und führte ſie in das auf der entgegengeſetzten
Seite liegende Zimmer, in daſſelbe, in welchem wir Guſtav de Cendry
an jenem verhängnißvollen Morgen als Raub der Verzweiflung ſahen.
 
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