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Heidelberger Familienblätter — 1863

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Nr. 64 - Nr. 75 (3. Juni - 28. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43184#0257

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Heidelberger Familienblätter.

Nr 65. Freitag, den 5. Juni 18638.

Die Braut des Blinden.
Eine Erzählung aus dem ſiebzehnten Jahrhundert. Von J. Krieger.

(Fortſetzung.)
Die Thurmuhr des Domes ſchlug Eins, da fuhren Leonore und
Felix nach der Vorſtadt, um Clémence und ihre Eltern abzuholen.
Dem Anſcheine nach ging die Familie einem großen Glücke entgegen.
Aber trotzdem lagen Wolken auf der Stirne des Waffenſchmiedes. Sein
Herz hämmerte unruhig gegen ſeine Rippen und er brummte einmal über
das andere vor ſich hin: ö —* 2* *
5Haupt Gottes! mir iſt heute bänglicher zu Muthe, als in der Zeit,
wo es hieß: Morgen werden wir dem Feinde eine Schlacht liefern.“
Margot, ſeine Frau, war gleichfalls von einer ſelſamen Unruhe be-
fangen. ö — ö ö
Nur Cläémence blickte heiter und vertrauensvoll der nächſten Stunde
entgegen. Sie, deren Herzensgüte ſo unendlich groß war, daß ſie alle
Menſchen auf der ſchönen Gotteswelt für edel und gut hielt, die ſich ihr
mit dem Scheine der Redlichkeit nahten, hatte keine Ahnung, daß die
ſchöne geiſtvolle Leonore eine Intrigue zu ihrem Verderben geſponnen hatte.
Als Leonore und ihr Bruder das Haus des Waffenſchmieds betraten,
war die Mutter beſchäftigt, Clémence die koſtbaren Kleider anlegen zu
helfen, die ihr der Graf von Sablon geſchickt hatte. ö
„Wie, noch nicht fertig?“ rief die Grafentochter. „Ei, da muß ich
wohl hülfreiche Hand leiſten.“
Unter Schmeicheleien und Liebkoſungen ordnete ſie die Locken der
Bürgerstochter und half ſie vollends anziehen.
Als Clémence, geputzt wie die Tochter eines reichen Mannes aus
adeligem Stande, daſtand, hing ihr die heuchleriſche Freundin noch ein
Perlenhalsband um. ö
„So, mein liebes Schweſterchen,“ ſagte ſie; „nun biſt Du geſchmückt,
wie Henri es wünſcht und er wird vor Entzücken außer ſich ſein, eine
ſo liebliche Braut umfangen zu können.
Felix von Montagne aber fand im Stillen Clémence in der reichen
Kleidung weniger anziehend, als in ihrer einfachen bürgerlichen Tracht.
Leonore hatte abſichtlich ſchreiende, auffallende Farben zu den Gewändern
gewählt, die keinen angenehmen Contraſt mit dem bleichen, in der Form
reizloſen Geſichte des jungen Mädchens bildeten.
Nun mußten ſich auch Frau Margot und Dufore dem Feſte würdig
in Staat werfen. Auch für ſie waren die Kleider vom Schloſſe Mon-
tagne geſchickt worden. Henri hatte bitten laſſen, ſie möchten ſich der-
ſelben bedienen. Wie hätten ſie dieſe Bitte dem künftigen Schwiegerſohne
abſchlagen können? ö
 
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