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Heidelberger Familienblätter — 1863

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Nr. 129 - Nr. 141 (1. November - 29. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43184#0529

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Heidelberger Familienblütter.

Nr. 133. Mittwoch, den 11. November 1863

Die bleiche Gräfin.

Roman aus der Geſellſchaft von Hans Wachenhuſen.

Cortſetzung.)
XXVI.
Oer Räthſelhafte.

Als Rafaek in das Kloſter der Carmeliterinnen kam, ſagte man ihm,
daß die Comteſſe C., welche unter dem Namen Schweſter Beatrix den
Schleier zu nehmen beabſichtigt, das Noviziat bereits vor mehr als vien

Wochen verlaſſen habe, nachdem ſie im Kloſter eine langwierige Krankheit

überſtanden.
Riemand konnte ihm Auskunft geben, wohin ſie ſich gewendet.

Wie von einem Donnerſchlag getroffen, hörte Rafgel dieſe Nachricht.

Die darüber zukommende dienende Schweſter blickte ihn theilnehmend an z
ſie mochte errathen, was der junge Mann empfand; auch auf ihrem
Antlitz lag ein Zug von tiefer Schwermuth; vielleicht war ſie ſelber
durch ähnliche Schickſale wie Luzie in dieſe einſamen Mauern verbannt
worden. ö ö
„Wir Alle betrauern den Verluſt der guten Beatrix,“ ſagte ſie tröſtend
zu Rafael; „aber es iſt beſſer für ſie, daß ſie in die Welt zurückkehrt,
un welche ſie, ohne es ſelbſt zu ahnen, durch unzerreißbare Feſſeln ge-
knüpft war. An ihrer Seele nagte ein raſtloſer Schmerz, ich felbſt habe
ſie oft beobachtet; Niemand beſſer als ich hat errathen, was in ihr vor-
ging und wie ſie ſo lange kämpfte, bis ihre phyſiſchen Kräfte erlagen.
Für Beatrix gab es nur zwei Wege: der eine führte in's Grab, der
ſchen. in die Welt zurück, die ihr freilich auch nur wie ein ſolches er-
ien.“ ö
Ein Seufzer war Rafael's Antwort. Das Auge in troſtloſer Ver-
zweiflung zu Boden geſenkt, ſtand er da.
„So weiß alſo auch die Oberin nichts von ihrem Verbleiben?“
fragte er endlich. * ö ö ö
„»Nichts, mein Herr! Die Superiorin, welche Beatrix unendlich
lieb gewonnen, drang bei ihrem Abſchied in ſie, ihr zu ſagen, was ſie zu
beginnen gedenke, denn Beatrix hatte ſie zur Vertrauten aller ihrer
früheren Schickſale gemacht; Beatrix aber ſchüttelte trauernd den Kopf,
nichts vermochte ſie in dieſem Punkte mittheilſam zu machen, und ich
fürchte, auch in der letzten Stunde, als ſie mit der Oberin allein war,
iſt ſie ebenſo verſchwiegen geblieben.“ ö
Rafael ließ bei der Oberin um eine Audienz bitten. Die gute
Matrone empfing ihn an üblicher Stelle. Prüfend haftete ihr ſcharfes
Auge auf dem jungen Mann, in welchem ſie den Ueheber von Beatrix'
 
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