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Heidelberger Familienblätter — 1863

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Nr. 76 - Nr. 89 (1. Juli - 31. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43184#0345

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Heidelberger Lamilienblätter. ö

Nr. 8S7. Sonntag, den 26. Juli 1863.

Diebleiche Gräfin.

Roman aus der Geſellſchaft von Hans Wachenhuſen.

(Fortſetzung.) ö
Der Schreck trieb mir einen Angſtlaut auf die Lippen, ich fuhr ent-
ſetzt zurück, denn vor mir ſtand eine männliche Geſtalt, deren dunkle,-
glühende Augen durchdringend auf mich gerichtet waren. ö
„Keinen Laut! Ich beſchwöre Sie!“ rief mir die Geſtalt mit einer
Stimme zu, die in meinem Gedächtniß ein Echo fand, während ſich ein
Arm mir entgegenſtreckte. ——
Faſt gelähmt vor Schreck ſtand ich wie am Boden feſtigewurzelt da;
meine Glieder zitterten. Dennoch ſuchte ich mich zu faſſen, und meinen
ganzen Muth zuſammennehmend, warf ich einen Blick auf das vom Monde
beglänzte Antlitz des Fremden. ö
Wer beſchreibt mein Erſtqunen, als ich in ihm denſelben jungen Mann
erkannte, welcher mir vor mehreren Wochen in den elyſeeiſchen Feldern
begegnet war. ö
„Mein Fräulein!“ begann er, ſich vor mir auf das Knie werfend,
während ſeine großen Augen einen unendlich flehenden Ausdruck annahmen;
„ich bedarf Ihrer ganzen Verzeihung für meine Frechheit! Zürnen Sie
mir nicht; acht Tage habe ich vergebens alle nur denkbaren Verſuche ge-
macht, in dieſes verzauberte Schloß einzudringen, um Ihnen einen Schatz
auch i⸗ den mir anzueignen ich kein Recht habe, wie theuer er mir
auch iſt!“
Mit dieſen Worten überreichte er mir ein Taſchentuch, daſſelbe, welches
ich damals nach unſerer Rückkehr von der Promenade vermißt hatte.
Es vergingen einige Sekunden, ehe ich ein Wort zu finden vermochte;
woher ich Faſſung nahm, weiß ich noch heute nicht.
„Ich danke Ihnen, mein Herr!“ antwortete ich endlich kalt und mein
Eigenthum zurücknehmend; „jedenfalls aber iſt mir der Beſitz meiner Ehre
theurer als der dieſes unbedeutenden Gegenſtandes. Ich werde Ihnen
alſo doppelt dankbar ſein, wenn Sie mich augenblicklich verlaſſen und nie
wieder einen Weg hieher ſuchen, den ich nicht begreife!“
Schweigend und mit einem ſchalkhaften Lächeln, nicht im mindeſten.
durch meine Zurechtweiſung irre gemacht, zeigte er auf die Mauer, an-
deutend, daß dies der Weg ſei, den er gekommen.
„Ich war gefaßt auf Ihren Zorn,“ antwortete er mit demſelben
Lächeln, dem zu zürnen ſelbſt einem Menſchenfeind unmöglich geweſen wäre,
da es den ganzen Uebermuth, den ganzen ausgelaſſenen, keine Hinderniſſe
kennenden Frohſinn der Jugend dolmetſchte. „Aber hören Sie mich an,
gönnen Sie mir nur eine Minute zur Rechtfertigung meiner Kühnheit!“
Ich ſchwieg. Zitternd ſchaute ich umher in der Furcht, von Jemand
geſehen zu werden. ö
 
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