Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1863

DOI Kapitel:
Nr. 38 - Nr. 50 (1. April - 29. April)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43184#0197

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberger Lamilienblätter.

Nr. 50. Mittwoch, den 29. April — ö 1863.

Die Braut des Blinden.
Eine Erzählung aus dem ſiebzehnten Jahrhundert. Von J. Krieger.

(Fortſetzung.)

Er wollte ſich durch die Menge drängen. Aber mehrere Männer
und Frauen hielten ihn an. ö ö
„Was macht der edle Herr?“
„Iſt noch Hoffnung da?“ ——11
„Sollten die Heiligen nicht ein Wunder an ihm thun?“
Das waren die Fragen, welche an den Diener gerichtet wurden.
Er ſchüttelte traurig den grauen Kopf.
„Ich ſoll den Prieſter holen,“ ſagte er. „Der Herr Graf wird
dieſe Nacht ſchwerlich überleben. Seine fromme Seele ſehnt ſich nach
geiſtlichem Beiſtande. Geht nach Hauſe, guten Leute, und betet daheim,
daß Gott die letzte Stunde des edlen Herrn nicht zu ſchwer mache.“
Der Diener entfernte ſich mit ſchnellen Schritten.
Laute Klagen hallten ihm nach. Dann ſchlichen die armen Leute,
denen der Graf de Sablon viele Jahre wohlgethan, mit geſenkten Häup-
tern in ihre Quartiere. ö .
Drinnen aber, in dem erſten Stockwerke des Schloſſes, in einem
Hinterzimmer, deſſen Fenſter nach dem grünenden, blühenden Garten
ſahen, ruhte auf einem Himmelbette der Graf Richard de Sablon, der
Beſitzer umfangreicher Güter, die in der Umgegend der Stadt Naney
lagen. ö ö
Es war kaum ein Monat vergangen, als die hohe Geſtalt des Gra-
fen noch raſch und kräftig einhergeſchritten war, und keine Ahnung des
nahen Todes hatte ſich ſeiner Seele bemächtigt. —
Da plötzlich, an einem Abende, wo er einige hochgeſtellte Freunde in
ſeinem Hauſe bewirthete, war er kurz vor dem Schlafengehen von einer
Fieberhitze ergriſſen worden, die ihm faſt die Beſinnung geraubt. Heftige
Schmerzen hatten ſich bei ihm im untern Theile des Körpers eingeſtellt.
Sein Hausarzt, der gelehrte Doctor Cortin, hatte, wie er betheuerte, ſeine
ganze Kunſt aufgeboten, um die Krankheit im Entſtehen zu erſticken. Aber
Alles umſonſt. Von Tag zu Tag waren die Schmerzen heftiger, das
Fieber, die Gluth, die in ſeinen Adern tobte, mächtiger geworden. Der
kräftige Mann war zu einem Skelette herabgedorrt und ſah nun, wie er
ſelbſt fühlte, ſeinem nahen Ende entgegen. ——
Außer dem Kranken waren noch andere Perſonen in den letzten ver-
hängnißvollen Stunden des edlen Grafen im Zimmer. — ‚
Dicht an ſeinem Bette ſaß der Graf Montagne, ſeit zwanzig Jahren
aufs Innigſte mit ihm befreundet. Beide hatten in den Partheikriegen,
die in Frankreich vor dem Regierungsantritte Ludwig XIV. ſtattgefunden,
 
Annotationen