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Heidelberger Familienblätter — 1863

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Nr. 38 - Nr. 50 (1. April - 29. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43184#0198

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— 198 —

in einem Heere gegen die Fronde gefochten. Der Graf von Montagne
hatte ſeinem Freunde einſt das Leben gerettet. Sie hatten, wie treue Brü-
der, jede Gefahr und alle Lebensfreuden zuſammen getheilt. Als Beide,
nachdem der Friede zurückgekehrt, ſich vermaͤhlt, war der Bund, den ſie
einſt auf dem Schlachtfelde geſchloſſen, doch nicht zerriſſen worden. Die
Liebe zu ihren Frauen und Kindern überwog an Stärke die langbeſtehende
Freundſchaft nicht. Und als beide Frauen vor mehreren Jahren geſtorben
waren, blieben ſie unzertrennlich, wie immer.
Die zweite Perſon, die ſich in dem Sterbezimmer befand, war der
Arzt Cortin, ein Sechsziger. Beim erſten Anblicke hatte ſein Kopf, von
langen ſilbergrauen Locken umwallt, etwas Ehrwürdiges und Vertrauen
Einflößendes. Ein geübter Menſchenkenner aber hätte vielleicht bald in
den ſcharfmarkirten Zügen und den kleinen Augen, mit denen er auf eine
ſeltſame Weiſe zu blinzeln pflegte, Habſucht und Geiz geleſen. Seine Geſchick-
lichkeit als Arzt jedoch wagte Niemand in Nancy zu bezweifeln. Herr
Cortin ſtand an einem Tiſche in der Nähe des Bettes und bereitete eigen-
händig eine Medicin für den kranken Grafen, welche die Schmerzen,
wenn ſie in ſeinen letzten Augenblicken wiederkehren würden, lindern
ſollte. ö
Dicht am Fenſter, an die Brüſtung gelehnt, trifft unſer Auge auf
einen jungen Mann, den Graf Sablon vor mehreren Jahren als Schreiber
zu ſich in's Haus genommen. Pierre Griſſe iſt ſein Name. Sein Vater
zählte einſt zu der Dienerſchaft des Grafen. Als eine Krankheit ſeinen
rechten Arm lähmte, kaufte ihm ſein Herr ein kleines Haus und ſicherte
ihm ſeinen Lebensunterhalt. ö
Der junge Mann trug ſchöne Züge und ſein Anſtand und ſeine Klei-
dung waren faſt die eines Jünglings von hoher Geburt. Graf Sablon
war ihm ſehr gewogen und behandelte ihn mehr wie ſeinen Sohn, denn
wie einen Diener. Aus dieſem Grunde war es erklärlich, daß er in
dieſer Stunde bleich und kummervoll ausſah und ein Sacktuch vor die
Augen hielt, um die hervorquellenden Thränen zu verbergen.
Die Hände der beiden Grafen waren in einander verſchlungen.
„Gott lohne Dir,“ ſagte Sablon mit matter Stimme, „mein wackerer
Richard, Deine Freundſchaft, Die Du mir ſo viele Jahre bewieſen. Die
Erinnerung daran, an den treuen Bund unſerer Bruderliebe, macht mir
die letzten Stunden weniger ſchwer. Ich kann ruhig ſterben, da mein
armer blinder Henry in mir nur einen Vater verliert. Den zweiten
wird er in Dir behalten. Du wirſt das Erbe, das ich ihm hinterlaſſe,
treu verwalten.“ ö ö
„Sprich nicht davon,“ verſetzte Montagne, mit der linken Hand ſeine
Augen brdeckend, während ſeine rechte die ſeines kranken Freundes feſt-
hielt. „Du wirſt wieder geneſen. Haben die Schmerzen doch ſeit heute
früh aufgehört. ö
Sablon ſeufzte tief.
„Die Schmerzen ſind entflohen, aber dafür ſchleicht die Mattigkeit
des Todes durch meine Glieder. Nein, mein Freund, es wohnt die Ge-
wißheit des nahen Endes in meiner Seele. Ehe dort der Schlag der
Wanduhr Mitternacht verkündet, bin ich ſchon von Euch geſchieden, von
Dir, von meinem theuern Henri und auch von Dir, mein guter Pierre.
Komm doch zu mir und reiche mir Deine Hand zum Abſchiede; denn
 
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