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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0102

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90

Der Bildbefund der 1620er und frühen 30er Jahre

war.65 Jacob Olycan trägt kurz geschnittenes Haar,
eine kompliziert gefältelte Halskrause aus feiner Spit-
ze, zu der seine Manschetten passen, ein reich damas-
ziertes schwarzes Überwams (bzw. einen Rock, sog.
>rockxgen<) mit sehr hoch angesetzter Taille, flachen
Schulterpatten, mehreren Knopfleisten und herab-
hängenden Ärmeln sowie eine knielange, schwarze
Pumphose. Die Ärmel des Rockes sind der Länge
nach aufgeknöpft, damit der kostbare Stoff der da-
runter liegenden Ärmel sichtbar wird. Über die linke
Schulter hat Olycan einen schwarzen Mantel gehängt,
in der Hand hält er einen breitkrempigen Hut. Das
Gesicht seiner Frau Aletta wird von einer breiten Dia-
demhaube und einem steifen Mühlsteinkragen einge-
fasst. Sie trägt einen weiten, vorne offenen Überrock,
einen so genannten >vlieger< (oder >bouwen<)66 aus
kostbarem schwarzen Stoff, der mit einem Ranken-
muster versehen ist.67 Ihr mit Goldfäden besticktes
Mieder oder >Bruststück< ist über die Taille hinaus
verlängert, bildet einen runden Abschluss und ist so
versteift, dass es sich von selbst nach vorne wölbt.
Darunter schließt ein trommelförmiger roter Rock
an. Als Schmuckelemente trägt Aletta eine doppelte
Goldkette um die Hüfte geschlungen sowie goldene
Ringe und Armbänder an jeder Hand.
Ebenfalls zu den Darstellungsformen von Porträts
in zeitgenössischer, repräsentativer Tracht gehörte es,
wenn adlige Auftraggeber männlichen Geschlechts,
vor allem Befehlshaber und Feldherrn, sich in einer
Rüstung porträtieren ließen [Kat. 231, Taf. 50, Kat.
340, Taf. 72, Kat. 377]. Auch hier waren der weiße
Kragen und die Manschetten Bestandteil der Klei-
dung. Abgerundet wurde das Bild häufig durch Ac-
cessoires wie Helm, Schwert und Befehlshaberstab.
Auch Kinder erscheinen auf Porträts in einer
repräsentativen Tracht, die in vieler Hinsicht der
Kleidung der Erwachsenen ähnelt, mit dieser aber
nicht identisch ist [Kat. 378].68 So tragen Kinder
zwar Spitzenkragen und Manschetten, ihr Kleid,
das auch kleinen Jungen angezogen wurde, ist aber

vielfach buntfarbig.69 Hinzu kommen bestimmte, für
die Kinderkleidung typische Elemente wie z.B. die
Schürze oder die häufig an den Schultern befestigten,
herabhängenden langen Bänder.70
Eine auffallende Konstante aller gesichteten kon-
ventionellen Porträts des fraglichen Zeitraumes be-
steht in einer ausnahmslos aufgerichteten, würde-
vollen Haltung mit erhobenem Kopf.71 Zwar kommt
es vor, dass die Bildnisse Bewegungsmotive enthalten,
bei denen der oder die Dargestellte den Kopf z. B. zur
Seite neigt [Kat. 209] oder sich nach vorne beugt wie
der in einem Fensterrahmen dargestellte Mann in van
den Valckerts Porträt eines Mann mit Ring (Amster-
dam, Rijksmuseum) [Kat. 522, Taf. VIII] von 1617.72
Die Haltung bleibt jedoch stets straff, der Eindruck
eines In-Sich-Zusammensinkens oder die Darstel-
lung eines stark nach unten geneigten Kopfes wird
in jedem Fall vermieden. Wichtige Voraussetzung
für die Zufriedenheit des Auftraggebers war es of-
fensichtlich, dass sein Bildnis Selbstbewusstsein aus-
strahlte. Frans Hals’ Porträt des Isaac Abrahamsz.
Massa (1586-1643) von 1626 (Toronto, Art Gallery
of Ontario) [Kat. 208, Taf. VII] zeigt, dass es dem
Meister gelang, diesen Eindruck auch dann zu erzeu-
gen, wenn er eine bewegte, unkonventionell erschei-
nende Haltung wählte. Der auf die Stuhllehne aufge-
stützte Arm und die Wendung Massas verleihen ihm
Lebendigkeit, wirken aber gleichzeitig überlegen und
souverän. In der Folge wurde das Haltungsmotiv zu
einem festen Bestandteil des Codes.73
Dieser umfasste eine Reihe weiterer festgelegter
Haltungen, Posen und Gesten. Sofern die Arme und
Hände der Dargestellten zu sehen sind, gehören bei
männlichen Bildnissen zu den wichtigsten Motiven
die im Redegestus erhobene Hand [Kat. 209], die an
die Brust gelegte Hand, das in die Hüfte Stützen des
Armes und das lässige Aufstützen einer Hand auf
einen Stock, einen Tisch oder eine Stuhllehne [Kat.
204, Taf. 43, Kat. 375].74 In der anderen Hand hält
der Porträtierte häufig einen Gegenstand, z.B. Hut,

65 Zur Tracht der Dargestellten vgl. auch Mortier 1989/90, S.
45, 47f., 55.
66 Vgl. Mortier 1989/90, S. 45.
67 Vgl. Thienen 1930, S. 44-48; Kinderen-Besier 1950, S. 50f.
68 Vgl. Kuus 2000/01. Zu niederländischen Kinderbildnissen
vgl. zuletzt Kat. Haarlem / Antwerpen 2000/01.
69 Vgl. z.B. Kat. Haarlem / Antwerpen 2000/01, Kat. Nr. 26,
S. 147-149.
70 An diesen konnten kleine Kinder gehalten werden, sie dienten
jedoch ebenso zur Dekoration und verzierten auch das Ge¬
wand schon größerer Kinder, Kuus 2000/01, S. 77.

71 Vgl. JONGH 1986, S. 15.
72 Zur Identifizierung des Dargestellten als Bartholomeus Jansz.
van Assendelft, der Goldschmied war, vgl. Ekkart 1999.
73 Vgl. Kat. Washington / London / Haarlem 1989/90, Kat.
Nr. 21, S. 190, 192.
74 Zur Bedeutung von Gesten und Haltungsmotiven in Por-
träts vgl. Jongh 1986, S. 50-55; Spicer 1991; Jongh 1993a, S.
64-66; Roodenburg 2004, bes. S. 133-142.
 
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