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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0103

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Erscheinungsformen des holländischen Porträts 1615-1633

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Handschuhe [Kat. 356, Taf. 77] oder Schwert. Auf
weiblichen Bildnissen werden Haltungen vorgezo-
gen, bei denen die Arme enger beim Körper bleiben
[Kat. 205, Taf. 43, Kat. 343, Taf. 73]. Sie können bei-
de locker herabhängen, ein wenig angewinkelt oder
vor dem Körper verschränkt sein. Auch das leichte
Aufstützen auf einen Tisch oder Stuhl kommt vor
[Kat. 376, Taf. 79]. Wie bei männlichen Bildnissen
findet sich zudem das Motiv der auf die Brust ge-
legten Hand [Kat. 207]. Auch haben Frauen häufig
Gegenstände, z.B. Handschuhe, ein Buch oder einen
Fächer, in der Hand.
Die Bewegungsmotive, die auf Einzelbildnissen
im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts vorkommen,
sind als verhalten zu beschreiben. Das Maß an Be-
wegung, das van den Valckerts Porträt eines Mannes
mit Ring und Hals’ Bildnis von Massa auszeichnet,
überschreiten die Maler nicht. Meist vermittelt die Pose
der Dargestellten den Eindruck von Stabilität und ru-
higer Gelassenheit. Unterstrichen wird dies durch den
ernsten Gesichtsausdruck der Porträtierten - ein wei-
terer Aspekt, den der Code beinhaltet. Das Minenspiel
der Dargestellten ist in der Regel unbewegt und wird
nur in wenigen Fällen durch einen wie zum Spre-
chen leicht geöffneten Mund oder den Ansatz eines
Lächelns belebt. Interessant und überzeugend ist
in diesem Zusammenhang ein Deutungsansatz, den
Ann Jensen Adams mit Bezug auf Porträts der bür-
gerlichen Elite, auf denen die Dargestellten im Drei-
viertelformat erscheinen, entwickelt hat. Die Auto-
rin vertritt die These, dass die emotionale Ruhe und
Gelassenheit, die sich in der statisch-unbewegten,
ein Minimum an Gestik beinhaltenden Körperhal-
tung und dem ernsten Gesichtsausdruck der Porträ-
tierten ausdrücke, mit dem im 17. Jahrhundert unter
anderem in Philosophie und Literatur verbreiteten
neostoischen Ideal der tranquillitas in Verbindung zu
bringen seien.75 Adams erörtert, dass sich der Charakter
einer Person nach zeitgenössischer Vorstellung nicht
nur in seiner Physiognomie, sondern auch in der Bewe-
gung und Haltung des Körpers spiegele.76 Eine ruhige
äußere Haltung sei mit einer entsprechend stoischen
Geisteshaltung assoziiert worden. »Tranquillity, the
75 Adams 1997, bes. S. 163-171.
76 Adams 1997, S. 167, 170f. Vgl. auch Roodenburg 1991.
77 Adams 1997, S. 169.
78 Vgl. auch Schwartz 1989, S. 95f.
79 Vgl. auch Lievens’ Porträt des Constantijn Huygens (1596-
1687) (Amsterdam, Rijksmuseum) von 1628/29 [Kat. 291,
Taf. IV],

product of rational self-control, was a proud achieve-
ment attesting to a state of highest ethical virtue.«77
Die vernunftgeleitete Kontrolle der eigenen Emotio-
nen verstand die männliche Elite als Zeichen für die
Befähigung zur Führung anderer. Somit manifestiere
sich der Machtanspruch der bürgerlichen Auftragge-
ber in den von Adams behandelten Porträts im Drei-
viertelformat.
Eng verbunden mit Haltung und Gesichtsaus-
druck ist der in der Mehrzahl der Fälle zum Betrach-
ter gerichtete Blick der Dargestellten. Bedingt durch
ihre repräsentative und exemplarische Funktion rech-
neten Porträts mit einem Gegenüber, an das sich die
dargestellte Person in aller Regel wendet.78 Wie das
Bildnis von Isaac Abrahamsz. Massa [Kat. 208, Taf.
VII] zeigt, kommt es gelegentlich jedoch auch vor,
dass der Porträtierte am Betrachter vorbei aus dem
Bild herausschaut.79 Dieser Fall kann in der unter-
suchten Periode jedoch als seltene Ausnahme gelten.
Auf allen gesichteten Porträts von van der Voort, van
Miereveld, Nicolaes Eliasz. und de Keyser etwa bli-
cken die Dargestellten direkt zum Betrachter. Auffäl-
lig ist zudem, dass die Augen der Porträtierten niemals
niedergeschlagen, sondern stets gut zu erkennen sind.
Abgesehen von der Blickrichtung ist die Wendung
des Kopfes zum Betrachter typisch - ein vollständig
von diesem weggedrehtes Gesicht widerspräche allen
Prämissen der Gattung und lässt sich nicht nachwei-
sen. Nur Profilbildnisse, wie z.B. Honthorsts 1631
geschaffenes Porträt von Frederik Hendrik (1584-
1647) in Den Haag (Stichting Historische Verzame-
lingen van het Huis van Oranje-Nassau) [Kat. 231,
Taf. 50], bilden in dieser Hinsicht eine Ausnahme.
Die Darstellung der Profilansicht knüpft an die in
der Renaissance fortgeführte Tradition von Kaiser-
bildnissen auf antiken Münzen und Medaillen an,80
ist in der holländischen Malerei jedoch selten.81
Bildnisse von Kindern in modischer Kleidung un-
terscheiden sich hinsichtlich Haltung, Gestik, Mimik
und Blickrichtung nicht wesentlich von den Porträts
Erwachsener und sind somit innerhalb der Grenzen
des für Bildnisse Erwachsener geltenden Codes an-
zusiedeln.
80 Kat. Den Haag 1997/98b, Kat. Nr. 9, S. 135; Tiethoff-
Spliethoff 1997/98, S. 180; Spliethoff 2003, S. 135. Vgl.
auch Haskell 1995, S. 37-53.
81 Judson / Ekkart 1999, S. 32. Vgl. auch Slive in Kat. Washing-
ton / London / Haarlem 1989/90, S. 288.
 
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