Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0131

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Entwicklung nach 1630

119

Da ein besonders porträthaftes Erscheinungsbild
als eines der Merkmale vieler Tronien gelten kann,
werden auch entsprechend aufgefasste Darstellungen
von Hirten und Hirtinnen im Brust- oder Halbfigu-
renausschnitt in die folgende Untersuchung einbezo-
gen, sofern sie weder als benennbare Protagonisten
der Hirtendichtung ausgewiesen noch als Bildnisse
zu verstehen sind.10
Für die Entfaltung und weitere Entwicklung des
zu untersuchenden Bildtyps spielte ab den 1630er
Jahren zunächst Rembrandt eine herausragende Rol-
le. Aus diesem Grund sind seine Tronien als Erstes in
den Blick zu nehmen.
1.2 Rembrandts Tronien und ihre Nähe
zur Gattung Porträt
Die dreißiger und vierziger Jahre
In den dreißiger Jahren veränderten sich Rembrandts
Tronien gegenüber den Werken der Leidener Zeit
deutlich. Sie sind insofern als anspruchsvoller zu be-
zeichnen, als der Maler meist ein sehr viel größeres
Format wählte, das im Gegensatz zu seinen in den
zwanziger Jahren geschaffenen Tronien vor allem in
der Höhe, meist aber auch in der Breite 50 cm er-
heblich überschreitet. Zudem erweiterte Rembrandt
das Figurenspektrum, indem er nun auch Tronien
junger Frauen malte, deren reiche Phantasiekostüme
Reminiszenzen an die Tracht des 16. Jahrhunderts
enthalten.11 12 Weiter fällt auf, dass Rembrandts Dar-
stellungen phantasievoll gekleideter Figuren in den
dreißiger Jahren verstärktporträthafte Qualitäten ge-
winnen, was die Beantwortung der Frage erschwert,
ob es sich tatsächlich um Tronien und nicht etwa um
10 Zur Frage nach der Zuordnung von Hirtendarstellungen
in reduziertem Bildausschnitt zur Gruppe der Tronien vgl.
auch unten, Kap. III.2.5.
11 Vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A50, S. 170; Winkel
2001, S. 61-63; Kat. Edinburgh / London 2001, Kat. Nr. 19,
S. 88, Kat. Nr. 21, S. 92. Vgl. z.B. Kat. 409-410, Tal. 87, Kat.
419, Taf. XVII.
12 In RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. A42, S. 396, wird an¬
genommen, dass Rembrandt das Bild nach seinem Umzug
nach Amsterdam im Jahr 1631 malte. Die jüngere Forschung
geht davon aus, dass der Meister sein Atelier in Leiden zu¬
nächst noch behielt und erst ab 1632 oder 1633 permanent
in Amsterdam wohnte. Doch muss sich Rembrandt schon
ab 1631 auch für längere Phasen dort aufgehalten haben. Ab
diesem Zeitpunkt stand er nachweislich in engem Kontakt
zu dem Amsterdamer Kunsthändler Hendrick Uylenburgh
und führte Porträtaufträge für Amsterdamer Bürger aus, vgl.

Kostümporträts handelt. Wie zu zeigen sein wird,
können die Bilder jedoch beinahe ausnahmslos der
Gruppe der Tronien zugerechnet werden.
Bereits bei zwei der ersten wohl schon während
Rembrandts Tätigkeit in Amsterdam geschaffenen
Phantasiefiguren, seinerum 1631 gemalten Halbfigur
eines alten Mannes mit Federbarett und Halsbergev~
(Chicago, Art Institute) [Kat. 402, Taf. IX, 85] und
dem Orientalen von 1632 (New York, Metropolitan
Museum of Art) [Kat. 405, Taf. 86], stehen Pose und
Gesichtsausdruck der Figuren mit den Konventio-
nen der Porträtmalerei in Einklang. Der Alte Mann
mit Federbarett wendet den Kopf in die dem Körper
entgegengesetzte Richtung und richtet den Blick da-
bei mit ernster Miene in die Ferne. Dieser Habitus
erinnert an Bildlösungen, die Anthonis van Dyck in
einigen seiner Genueser Porträts und in Bildnissen
der zweiten Antwerpener Periode entwickelte.13 Als
Beispiel für den Typus kann etwa van Dycks Por-
trät des Stechers Paulus Pontius (1603-1658) (Israel
Museum, Jerusalem) [Kat. 121] von ca. 1630 ange-
führt werden,14 nach dem der Meister eine Radierung
für seine Monographie anfertigte [Kat. 126, Taf. 25].
Trifft Luijtens Annahme zu, dass van Dyck das Por-
trät von Pontius im Jahr 1630 radierte, wäre eine frü-
he Rezeption des Bildes durch Rembrandt möglich.15
Haltungsmotiv und Figurenausschnitt des Orienta-
len können mit Rembrandts Porträt des Nicolaes
Ruts (1573-1638) von 1631 in New York (Frick
Collection) [Kat. 403, Taf. 85] verglichen werden.16
Auch eine Lichtbehandlung, wie sie der Orientale
zeigt, kommt durchaus in Rembrandts Porträts der
dreißiger Jahre vor.17
Weisen die Gemälde in New York und Chica-
go auch eine Reihe typischer Porträtmerkmale auf,
Dudok van Heel 1991/92, S. 54; Dudok van Heel 2001, S.
21 f.; Liedtke 2004, S. 60f., und bes. Veen 2006, S. 126-131.
13 RRP 1982-2005, Bd. 1, Kat. Nr. A42, S. 395.
14 Zu van Dycks Gemälde vgl. Barnes et al. 2004, Kat. Nr.
III.118.
15 G. Luijten in Kat. Antwerpen / Amsterdam 1999/2000, Kat.
Nr. 12, S. 131.
16 Vgl. RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A48, S. 155. Vgl. jüngst
zu dem New Yorker Orientalen Kat. New York 2007, Bd.
2, Kat. Nr. 142, S. 554-567.
17 In RRP 1982-2005, Bd. 2, Kat. Nr. A48, S. 156, wird das Be-
leuchtungsschema mit dem Porträt von Jons de Caullery (ca.
1600-1661) (Leinwand, 102,2 x 83,8 cm, 1632, San Francisco,
M.H. de Young Memorial Museum, RRP 1982-2005, Bd. 2,
Kat. Nr. A53) verglichen. In beiden Gemälden liegen der un-
tere Bereich des Körpers und die Hand im Schatten, während
Gesicht und Schulter beleuchtet sind.
 
Annotationen