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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0150

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138

Verbreitung und Formen der Tronie

junger Frauen, ebenfalls in prächtiger Kostümierung
mit aufwendigen Kopfbedeckungen und üppigem
Perlen- und Juwelenschmuck [Kat. 95, Taf. 18, Kat.
97, Taf. 19, Kat. 98-99]; und schließlich junge Män-
ner in schlichterem, nur summarisch angegebenem
Phantasiekostüm.
Viele der Figuren lassen sich aufgrund äußerer
Merkmale problemlos als Tronien bestimmen. Sie
zeigen ein verschattetes Gesicht, eine für Porträts un-
angemessene Haltung oder Kostümierung oder einen
introvertierten Gesichtsausdruck bzw. gesenkten Blick.
Wo all dies nicht der Fall ist, gibt das dargestellte Mo-
dell Aufschluss über die Zugehörigkeit der Werke zum
Bildtyp der Tronie. So verwandte Drost beispielsweise
für den 1654 geschaffenen Mann mit rotem Feder-
barett in unbekanntem Besitz [Kat. 101], die Büste
eines Mannes mit breitrandigem Barett in Dublin
(National Gallery of Ireland) [Kat. 102, Taf. 20] und
den Sitzenden Mann mit Pelzmütze in Dresden (Ge-
mäldegalerie Alte Meister) [Kat. 103] dasselbe Mo-
dell wie für den Stehenden Mann in Rüstung (Kassel,
Gemäldegalerie Alte Meister) [Kat. 96, Taf. 18], bei
dem aufgrund von Haltung und Gesichtsausdruck
eindeutig ausgeschlossen werden kann, dass es sich
um ein Bildnis handelt.150 Ebenso wenig wie diese
Gemälde war Drosts Junge Frau im Brokatmantel
in der Londoner Wallace Collection [Kat. 97, Taf.
19] als Porträt intendiert:151 Hierfür spricht zum einen
ihre Ähnlichkeit mit der Jungen Frau mit Federbarett
(Cincinnati, Art Museum) [Kat. 98] - Bikker zufol-
ge muss diese Ähnlichkeit nicht unbedingt aus der
Verwendung desselben Modells resultieren, sondern
könnte auch auf Drosts »idealizing approach to
constructing female faces«152 zurückzuführen sein.
Zum anderen ist die entblößte Brust der jungen
Frau für ein Porträt unangemessen, zumal der dem
Betrachter gewährte Anblick nicht durch die Reprä-
sentation einer bestimmten Rolle, etwa einer antiken
Heldin oder Göttin, sanktioniert wird.153
Die maltechnische Ausführung von Drosts Tro-
nien erweist sich als sehr variabel und in vielen Fällen
partiell oder insgesamt als ausgesprochen skizzen-
150 Auch Bikker 2005, Kat. Nr. 13, S. 83, erkennt in den genann-
ten Bildern denselben bärtigen Mann.
151 In Kat. London 1992, Kat. Nr. P61, S. 87-89, deklariert J.
Ingamells die Junge Frau im Brokatmantel als Porträt.
152 Bikker 2005, Kat. Nr. 8, S. 71.
153 W. Liedtke in Kat. New York 1995/96b, S. 78, und Bikker
2005, Kat. Nr. 8, S. 71, bringen die Figur mit Kurtisanendar-
stellungen in Verbindung.
154 Vgl. Bikker 2005, S. 14-17.

haft.154 Hierin besteht eine grundsätzliche Überein-
stimmung mit den Tronien Rembrandts. Besonders
frei ist die Köchin am Fenster (Privatbesitz) [Kat.
100] von 1654 behandelt, bei der die Spuren des Ar-
beitsprozesses deutlich sichtbar sind, am stärksten in
Ärmel und Hand des linken Arms. Als Vorbild für
die Art der Ausführung nennt Bikker Rembrandts
Junges Mädchen am Fenster von 1651 (Stockholm,
Nationalmuseum) [Kat. 440] und sein Porträt des
Jan Six (1618-1700) von 1654 (Amsterdam, Samm-
lung Six) [Kat. 445, Taf. 95].155
Bikker weist nach, dass Drost in seinen Tronien
italienische, vor allem venezianische Vorbilder, ins-
besondere Halbfigurendarstellungen verarbeitet. Die
Junge Frau mit Perlen in Dresden (Gemäldegalerie
Alte Meister) [Kat. 95, Taf. 18] zitiere z.B. Tizians so
genanntes Porträt des Ariost in London (National Gal-
lery).156 Dieses befand sich bis 1641 in der Sammlung
des zwischen 1636 und 1641 in Amsterdam lebenden
Kaufmanns Alfonso Lopez und wurde von Rem-
brandt und einigen seiner Schüler und Nachfolger
rezipiert.157 Unabhängig von Drosts Anlehnung an
ein Porträt Tizians eignen seinem Bild die typischen
Merkmale einer Tronie. Als weitere Beispiele für die
Verwertung italienischer Bildlösungen nennt Bikker
Drosts Stehenden Mann in Rüstung (Kassel, Gemäl-
degalerie Alte Meister) [Kat. 96, Taf. 18] und die Frau
in Phantasietracht mit Buch (New York, Metropo-
litan Museum of Art) [Kat. 99]. Ersterer nehme die
Eigur des Mars in Agostino Carraccis Stich von 1589
nach Tintorettos Gemälde Minerva vertreibt Mars
im Palazzo Ducale in Venedig auf;158 Letztere sei mit
Darstellungen von Sibyllen aus der Bologneser Schu-
le des 17. Jahrhunderts in Verbindung zu bringen.159
In unserem Zusammenhang entscheidend ist, dass
Drosts Tronien trotz kompositioneller und moti-
vischer Bezugnahmen auf Vorbilder der italienischen
Malerei in ikonographischer Hinsicht nicht auf eine
bestimmte, der jeweiligen Bildquelle verpflichtete
Bedeutung festgelegt werden können, da Drost auf
die Beigabe signifikanter Attribute verzichtete.160
Dies führt Bikker zu folgendem Schluss:
155 Bikker 2005, S. 15.
156 Zu Tizians Gemälde vgl. Wethey 1969-1975, Bd. 2, Kat. Nr.
40, S. 103f., PI. 3, 4; Joannides 2001, S. 208, Fig. 185.
157 Bikker 2005, S. 27, Kat. Nr. 7, S. 69.
158 Zu Carraccis Stich siehe TIB 1978ff., Bd. 39 (1980), Kat. Nr.
B. 118, S. 160; TIB 1978ff., Bd. 39/1 (1995), Kat. Nr. 3901.156
(B. 118), S. 224.
159 Bikker 2005, S. 27, Kat. Nr. 10, S. 75, Kat. Nr. 15, S. 89.
160 Vgl. Bikker 2005, S. 30.
 
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