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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0155

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Die Entwicklung nach 1630

143

Setzt man voraus, dass Philips Köninck bei Rem-
brandt in die Lehre ging, ist davon auszugehen, dass
ein Teil der nach Rembrandt kopierten oder in des-
sen Manier gemalten Tronien im Nachlass des Aert
Coninck von Philips stammt: Dass dieser überhaupt
Tronien malte, ist durch die Erwähnung einer »vrou-
wetronie, van Philips Coninck«197 im Inventar des
Vaters belegt. Da der junge Mann seine Ausbildung
im April 1639 nachweislich noch nicht abgeschlossen
hatte, muss ein großer Teil der Gemälde, die er bis zu
diesem Zeitpunkt gemalt hatte, zudem aus Kopien
oder Varianten nach Werken seines bisherigen Lehr-
meisters Rembrandt bestanden haben.198 Bei den im
Nachlassverzeichnis enthaltenen, nach Rembrandt
kopierten Werken aber handelt es sich ausschließlich
um Tronien. Bilder von Philips, die sich im Hause
seines Vaters befanden, dürften also vor allem Tro-
nien gewesen sein.
Auch unter dem Namen von Philips Bruder Jacob
ist eine Tronie im Inventar aufgeführt, so dass dieser
ebenfalls als Schöpfer der anonymen Tronien in Be-
tracht kommt.199 Allerdings müssen die im Nachlass
Conincks enthaltenen Bilder Jacobs nicht unbedingt
in dessen Lehrzeit entstanden sein. Im Inventar be-
findliche Tronien von Philips dagegen stammen in
jedem Pall aus der Zeit seiner Ausbildung.200
Tronien machen mit einer Zahl von 22 Werken
den größten Anteil all jener Bilder aus, für die im In-
ventar kein Künstler genannt wird und deren Schöp-
fer somit die Söhne von Aert Coninck gewesen sein
könnten. Bemerkenswert ist dabei, dass 13 dieser
Tronien in einem einzigen Raum (von 11 Räumen

mit Bildern), nämlich »op ‘t Voordercamertge boven
‘t eetzaeltge«, verwahrt wurden. Hierzu zählen die
sechs Tronien nach Rembrandt und Backer, fünf als
>antiek< charakterisierte Tronien, eine in zwei Stücke
zerbrochene »vrouwetrome« und eine unvollendete
Tronie von Jacob Köninck. Darüber hinaus befanden
sich in dem Raum noch eine Zeichnung und nur vier
weitere Gemälde: »Een Bacchus geteeckent met de
pen van Jacob Conincx in een ebbe lijst«, »een con-
trefeijtsel, van Philips Coninck« sowie eine unvollen-
dete Landschaft, eine Landschaft nach Claes Moeyaert
und ein Stillleben von Ploris van Schooten.201
Alles deutet darauf hm, dass es sich bei den Bil-
dern im vorderen Zimmer über dem Esszimmer
vornehmlich um Werke von Philips und Jacob Kö-
ninck handelt: Erstens werden die Koninck-Brüder
namentlich als Schöpfer zweier Gemälde und einer
Zeichnung genannt; zweitens finden sich sieben
der insgesamt 11 im Inventar enthaltenen Kopien
in diesem Raum - also Bilder, die aus der Lehrzeit
der Brüder stammen könnten; drittens handelt es
sich bei 9 der insgesamt 17 Werke um Tronien, die
in Rembrandts Werkstatt oder in enger Auseinan-
dersetzung mit seinem Werk geschaffen wurden, da
sie rembrandteske Merkmale aufweisen bzw. nach
Rembrandt kopiert worden sind;202 und viertens wa-
ren vier der Gemälde unvollendet und sind somit als
Werke einzustufen, die sicher nicht käuflich erwor-
ben worden waren. Ganz offensichtlich bewahrte
Aert Coninck Bilder seiner Söhne in einem eigens
dafür vorgesehenen Raum auf. Darüber hinaus han-
delte es sich dabei nicht um beliebige Werke, sondern

197 GPI 1994-2003, N-2071, Nr. 0004.
198 Philips muss seine Lehre bei Rembrandt vor Aufnahme des
Inventars begonnen haben. Die Annahme in DA 1996, Bd.
18, S. 228, Philips habe die (1640 endende) Ausbildung bei
seinem Bruder im Jahr 1637 angetreten, geht auf Gerson
1936, S. 8f., zurück, der davon ausgeht, dass die Lehre der
Regelzeit gemäß ca. drei Jahre dauerte. Jager 1990, zeigt je-
doch, dass eine Lehre in der Praxis je nach Status des Lehr-
jungen eine sehr unterschiedlich lange Zeitspanne umfassen
und bei verschiedenen Meistern absolviert werden konnte.
199 GPI 1994-2003, N-2071, Nr. 124: »Een tronie, van Jacob
Coninck, niet opgemaeckt, sonder lijst«. Es ist nicht belegt,
von wem Jacob Köninck ausgebildet wurde. Da ein Teil der
kopierten Tronien im Inventar von seiner Hand stammen
könnte, muss eine Lehre bei Rembrandt zumindest in Erwä-
gung gezogen werden. Vgl. Broos 1983, S. 48.
200 Jager 1990, S. 76-78, legt dar, dass es von der vertraglichen
Regelung zwischen Lehrling und Meister abhing, ob und
wie viele der während der Lehrzeit produzierten Bilder ein

Schüler selbst behalten durfte. Vgl. auch Miedema 1986/87,
S. 271.
201 GPI 1994-2003, N-2071, Nr. 0133, 0118, 0120, 0134. Die
Zeichnung wird nur bei Bredius 1915-1922, Bd. 1, S. 152,
Nr. 47; und Gerson 1936, Dok. 5, S. 83, aufgeführt. Bei
Prüfung des Originaldokuments (Amsterdam, Gemeente-
archief, Arch. 5075, Inv. 1266B, Nr. 12) ergab sich, dass sie
sich tatsächlich »Op ‘t Voordercamertge boven ‘t eetzaeltge«
befand.
202 Auch die beiden Kopien nach Backer könnten in Rembrandts
Werkstatt entstanden sein: Backers Tronien waren in den drei-
ßiger Jahren stark von Rembrandt beeinflusst, vgl. Bauch 1926,
S. 30, sowie Kat. 7, Taf. 1, Kat. 11, Taf. 2, Kat. 13-15, Taf. 3. Au-
ßerdem verwandte der Meister mitunter dieselben Modelle für
seine Tronien wie Rembrandt, vgl. Schnackenburg 2001/02,
S. 116. Ein enger Kontakt zwischen beiden Künstlern kann
also vorausgesetzt und auch mit der Anwesenheit Backers in
Rembrandts Werkstatt bzw. mit der dortigen Verfügbarkeit
seiner Werke gerechnet werden.
 
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