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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0252

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232

Verbreitung und Formen der Tronie

All dies erklärt allerdings nicht unbedingt den
Mengenunterschied, der in beiden Perioden hinsicht-
lich der Anzahl der von Montias gezählten Ironien
auftritt. Zu dieser Diskrepanz führte aller Wahr-
scheinlichkeit nach der Umstand, dass in den Listen
der ersten Periode mit größerer Häufigkeit Porträts
als >tronien< bezeichnet wurden als dies in der zwei-
ten Periode der Fall war. Als aussagekräftiges Beispiel
für einen entsprechenden Sprachgebrauch erweist
sich wiederum die Versteigerungsliste des Chrispiaen
Colyn. Darin wird für Bildnisse, bei denen es sich
meist um Porträts bedeutender Persönlichkeiten von
öffentlichem Interesse handelt, wiederholt der Be-
griff >tronie< verwendet. Neben vielen vergleichbaren
Einträgen werden z.B. eine »Tronje van de Prins van
Orangen,«18 eine »Tronje Erasmus van Rotterdam«19
und eine »Tronje van de Graeff van Egmont«20 auf-
geführt. Der Begriff >conterfeytsel< taucht dagegen im
gesamten Verzeichnis kein einziges Mal auf. Somit ist
damit zu rechnen, dass mit einem großen Teil der 125
in der Versteigerungsliste genannten >tronien<, bei de-
nen auf eine nähere Spezifizierung durch einen Zusatz
verzichtet wurde, ebenfalls Bildnisse gemeint waren.
Da die Zahl dieser Werke sehr hoch ist, wirkt sie sich
in signifikanter Weise auf das Zahlenverhältnis in
Montias’ Stichprobe aus, der zwischen 1597 und 1619
insgesamt 328 Tronien zählt. Darüber hinaus wurden
Porträts vermutlich auch in anderen Verkäufen der
ersten Periode von den Zuständigen der Waisenkam-
mer als >tronien< bezeichnet. In dieser Verwendung
des Wortes dürfte ein wesentlicher Grund für eine
mögliche Verzerrung des Aufkommens von Tronien
in Montias’ Stichprobe zu suchen sein. Gestützt wird
diese Annahme durch das auffällige Fehlen von Fa-
mihenporträts, die in der ersten Periode nur mit 11
Bildern (0,5 % aller bekannten Sujets) vertreten sind,
während Montias zwischen 1619 und 1638 immer-
hin 91 Werke (2,9% aller bekannten Sujets) zählt.
Kalkuliert man ein, dass es sich bei einem Teil der in
der ersten Periode als >tronien< aufgeführten Werke
um Bildnisse handelte, wird die zwischen den beiden
Werten auftretende Differenz gemindert.

Bestehen bleibt die Tatsache, dass die Anzahl
von Porträts in den Auktionen der Waisenkammer
insgesamt wesentlich geringer ausfällt als in Mon-
tias’ bereits erwähnter Analyse von Amsterdamer
(Nachlass-)Inventaren.21 Dies hängt zweifellos da-
mit zusammen, dass Bildnisse - im Unterschied zu
Tronien - keinen Marktwert besaßen, da sie für die
Käufer von Kunstwerken kaum von Interesse waren;
außerdem wollten die Erben des verstorbenen Besit-
zers der zu versteigernden Güter die Porträts ihrer
Vorfahren vielfach selbst behalten.22
Interessanterweise stellt Montias fest, dass Tronien
in den von der Waisenkammer versteigerten Inven-
taren von Kunsthändlern und Künstlern im Vergleich
zum Besitzstand anderer Personen sehr viel häufiger
vorkommen.23 Besonders deutlich ist dies für die Peri-
ode zwischen 1620 und 1638, in der Tronien 20% der
aus dem Vermögen von Künstlern und Kunsthänd-
lern stammenden Bilder ausmachen, aber nur 2%
der Werke, die zur Verkaufsmasse der übrigen Ver-
steigerungen gehörten. Dies spricht dafür, dass die
als >tronien< bezeichneten Bilder von den Künstlern
auftragsunabhängig produziert bzw. von den Händ-
lern auf Vorrat gekauft wurden, um als stets verfüg-
bare Handelsware einsetzbar zu sein. Bei den Künst-
lerinventaren ist darüber hinaus in Betracht zu ziehen,
dass ein Teil der Bilder als Werkstattmaterial gedient
haben kann, das zu Studien- und Übungszwecken von
Lehrlingen und jungen Malern oder als Motivschatz
genutzt wurde.24 Zur Verkäuflichkeit von Tronien im
Allgemeinen steht dies freilich nicht im Widerspruch.
Um zu klären, welche Klientel sich für Tronien in-
teressierte, soll der Blick im Folgenden vor allem auf
die Preise der Bilder gerichtet werden, da der Erwerb
eines Kunstwerks nicht zuletzt davon abhing, ob der
Käufer sich selbiges leisten konnte. Für den Preis
eines Gemäldes waren im 17. Jahrhundert verschie-
dene Faktoren ausschlaggebend: Natürlich spielte
die Reputation des Künstlers eine Rolle, ebenfalls
bedeutsam für den Verkaufs wert waren jedoch die
Größe des Bildes, der dargestellte Gegenstand sowie

18 Bredius 1915-1922, Bd. 3, S. 1073, Nr. 160 (Verst. Chrispiaen
Colyn, Amsterdam 20.3.1612).
19 Bredius 1915-1922, Bd. 3, S. 1076, Nr. 218 (Verst. Chrispiaen
Colyn, Amsterdam 20.3.1612).
20 Bredius 1915-1922, Bd. 3, S. 1080, Nr. 352 (Verst. Chrispiaen
Colyn, Amsterdam 20.3.1612).

21 Montias 1991, Tab. 2, S. 350f.
22 Montias 2002a, S. 88. Vgl. auch Kat. Haarlem 1979, S. 27f.;
Loughman / Montias 2000, S. 42.
23 Montias 2002a, S. 88.
24 Vgl. oben, Kap. II.1.5, III.1.4.
 
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