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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0298

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270

Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

2.2 Das bürgerliche Kostümporträt in
Tronie-Manier als neuer Porträttyp
der holländischen Malerei
Gerard van Honthorst malte spätestens ab 1632
Bildnisse adliger Auftraggeber in phantasievoller
Tracht, aber ohne Attribute, die auf eine bestimm-
te ikonographische Rolle verweisen würden. In der
bürgerlichen Porträtmalerei lassen sich zur selben
Zeit keine vergleichbaren Auftragsporträts nach-
weisen. Dass hier früher oder später ein Wandel ein-
setzte, belegen die bereits in Kapitel III. 1 erwähnten
Kostümporträts von Jacob Backer und Rembrandt:
Sowohl auf Backers Bildnis der Geertruida Hasse-
laer (1624-1696) (Privatbesitz) [Kat. 23, Taf. XI, 5]
aus den vierziger Jahren als auch auf Rembrandts in
den frühen sechziger Jahren entstandenen Porträts
des Kaufmanns Jacob Trip (1575-1661) (London,
National Gallery) [Kat. 457, Taf. X, 97], des Man-
nes mit Vergrößerungsglas und der Frau mit Nelke
[Kat. 459-460, Taf. 98] (beide in New York, Metro-
politan Museum of Art) erscheinen die Dargestellten
in opulenter Phantasietracht, ohne jedoch eine be-
stimmte historische, biblische, mythologische oder
literarische Rolle zu verkörpern. Besonders im Falle
Rembrandts korrespondieren Tracht und malerische
Ausführung der Figuren mit der Gestaltungsweise
seiner Tronien. Demgegenüber ist eine Tracht, wie
sie Geertruida Hasselaer trägt, nicht typisch für Ba-
ckers erhaltene weibliche Tronien. Die wesentlichen
Bestandteile der Kleidung - das weite Obergewand
mit bauschigem weißen Hemd darunter sowie die
auffälligen Schmuckverzierungen - lassen sich jedoch
mit den Kostümen bestimmter Protagonistinnen in
den Histonen des Meisters verbinden,33 so dass hier
ein ähnlicher Zusammenhang besteht, wie er für das
Verhältnis zwischen Tronien und Historienbildern
kennzeichnend ist. Konkreter fassen lässt sich die
Ähnlichkeit der Kleidung von Kostümporträts mit
der Tracht von Tronien im Werk Backers in einem an-
deren Fall: Der Vergleich des Porträts von Geertrui-
das phantasievoll kostümiertem Halbbruder Gerard
Hasselaer (1620-1673ß4 (Privatbesitz) [Kat. 26, Taf. 5]
mit Backers männlichem Brustbild in München (Alte
Pinakothek) [Kat. 13, Taf. 3] zeigt, dass das Kostüm der
Tronie aus denselben Elementen zusammengesetzt ist
33 Vgl. z.B. das Kostüm Granidas in Backers um 1643 entstan-
denem Gemälde Granida und Daifilo (Harlingen, Gemeente-
museum Het Hannemahuis), Kat. Utrecht / Frankfurt /
Luxemburg 1993/94, Kat. Nr. 5, S. 92-94.

wie die Kleidung Hasselaers - sieht man von dessen
fehlender Kopfbedeckung einmal ab.
Diese Beobachtungen provozieren eine Reihe von
Fragen: Lassen sich die genannten Werke als Ausdruck
eines im 17. Jahrhundert weiterverbreiteten Phänomens
begreifen? Kam also in der bürgerlichen Porträtmale-
rei der Nördlichen Niederlande zu einem bestimmten
Zeitpunkt ein neuer Typus des Bildnisses - das Kos-
tümporträt - in Mode? Wie ist dessen Verhältnis zur
Tronie zu bestimmen, das heißt, welche signifikanten
Gemeinsamkeiten verbinden beide Bildformen, wie
können sie voneinander unterschieden werden und
welche Rolle spielten Tronien bei der Entwicklung
und Etablierung des holländischen Kostümporträts?
Und schließlich: Mit welcher Motivation ließen sich
Auftraggeber in dieser Weise darstellen? Diesen Fragen
wird in den folgenden Kapiteln nachzugehen sein.
2.2.1 Die Nähe des bürgerlichen Kostümporträts
zur Tronie und die Möglichkeiten
der Abgrenzung
Die genannten Kostümporträts von Backer und
Rembrandt sind keineswegs als Ausnahmeerschei-
nungen innerhalb der bürgerlichen Porträtmalerei
der Nördlichen Niederlande aufzufassen. Vielmehr
lässt sich nachweisen, dass auch andere holländische
Meister des 17. Jahrhunderts ihre Auftraggeber in
einer für Tronien gebräuchlichen Phantasietracht
darstellten und dabei - anders als im portrait histo-
rie - keine Konkretisierung mit Blick auf eine fikti-
ve Identität ihrer Modelle vornahmen. Um dies zu
verdeutlichen und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie
entsprechende Kostümporträts von Tronien unter-
schieden werden können, werden zunächst einige
zentrale Beispiele näher untersucht. Bei diesen han-
delt es sich einerseits um Bildnisse holländischer
Bürger, deren Identität bekannt ist, andererseits aber
auch um anonyme Porträts. Dass Letztere eben-
falls bürgerliche und nicht etwa adlige Auftraggeber
zeigen, ist aus zwei Gründen vorauszusetzen: Zum
einen konnte kein einziges Bildnis eines Angehöri-
gen des erblichen Adels in einer der Tracht von Tro-
nien entsprechenden Kostümierung nachgewiesen
werden; zum anderen stammen die als Porträts zu
34 Als Pendant gehört zu dem Porträt das wohl im Jahr der
Heirat 1645 geschaffene Bildnis der Agatha Hasselaer (1623-
1658) (Privatbesitz) [Kat. 27].
 
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