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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0300

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272

Die wechselseitige Beeinflussung von Porträt und Tronie

Bildnisse von Rembrandt-Schülern und Nachfol-
gern in dieser Zeit in aller Regel sorgfältiger wie-
dergegeben wird.
Der Blick des Dargestellten zum Betrachter, seine
sprechende Gestik sowie die Motive von Säule und
Vorhang im Hintergrund lassen unmittelbar an ein
Porträt denken, doch können bekanntlich auch Tro-
nien ausgesprochen porträthaft aufgefasst sein. Ge-
wissheit darüber, dass es sich bei dem New Yorker
Gemälde tatsächlich um ein Bildnis mit Memorial-
funktion handelt, liefert erst das ebenfalls in New
York (Metropolitan Museum of Art) aufbewahrte
weibliche Pendant des Bildes [Kat. 485, XXIV, 102],
Auf diesem ist eine phantasievoll gekleidete junge
Frau mit Fächer in der Hand zu sehen. Den gelten-
den Porträtkonventionen gemäß schildert der Maler
die Details ihrer Kleidung mit wesentlich größerer
Aufmerksamkeit, als dies beim männlichen Pendant
der Fall ist.39 Wie der Mann nimmt auch die Frau eine
für Porträts typische Haltung ein, indem sie zum
Betrachter blickt, den linken Arm angewinkelt hält
und die rechte Hand auf eine Stuhllehne stützt. Ihre
Frisur entspricht der modischen Haartracht junger
Frauen in den vierziger Jahren - ein weiteres Indiz
dafür, dass wir es mit einem Bildnis zu tun haben.40
Denn weibliche Tromen zeigen in der Regel einen
freieren Umgang mit der Frisur oder dem häufig um
phantasievolle Elemente bereicherten Kopfputz der
Modelle.
Abgesehen vom Kostüm der Figuren und - im
Falle des Mannes - dessen malerischer Ausführung
erfüllen die Bilder alle für ihre Bestimmung als Por-
träts notwendigen Kriterien. Darüber hinaus setzte
der Maler mit der Verwendung zusätzlicher Motive

standardisierte Formeln der Porträtmalerei ein. Im
Bildnis des Mannes sind dies Säule, Vorhang und
Tisch, im Bildnis der Frau ist es der Stuhl. Da auf-
grund der Existenz des weiblichen Pendants41 und
der Art seiner Gestaltung als erwiesen gelten darf,
dass es sich bei den New Yorker Gemälden um Por-
träts handelt,42 kann folgende These formuliert wer-
den: Die Verwendung mehrerer porträttypischer,
emblematisch-dekorativer Motive - z. B. Vorhang,
Säule, Balustrade oder Landschaftsausblick - kann
in Verbindung mit einem Haltungsmotiv, das zu
den Standardformeln der Porträtmalerei gehört,
als Indiz dafür gewertet werden, dass es sich bei
einer Einzelfigur in Phantasietracht um ein Kos-
tümporträt handelt. In der konventionellen Por-
trätmalerei der Nördlichen Niederlande kamen die
genannten Motive angeregt durch die Bildnisse van
Dycks ab den mittleren vierziger Jahren besonders
in Mode.43 *
Es lassen sich eine Reihe aussagekräftiger Beispiele
anführen, welche die zur Diskussion stehende These
neben den bereits behandelten Pendantbildnissen in
New York unterstützen. So kombiniert z.B. Jacob
Backer in seinen als Pendants geschaffenen Kostüm-
porträts von Gerard Hasselaer (1620-1673) [Kat. 26,
Taf. 5] und Agatha Hasselaer (1623-1658)u [Kat. 27]
(beide in Privatbesitz) das van Dycksche Motiv des
lässigen Aufstützens auf eine Säule im männlichen
Bildnis mit einem üppig drapierten Vorhang im
weiblichen Bildnis.45
Philips Köninck malte im Jahr 1657 das Bildnis
des Andries van der Goes (1620—1669) in Phantasie-
tracht (Privatbesitz) [Kat. 254, Abb. 51]. Das Por-
trät befindet sich noch heute im Besitz der Nach-

39 Selbst Frans Hals richtet sich in seinen Porträts der vierziger
Jahre hinsichtlich der Wahl der künstlerischen Mittel nach
dem Geschlecht der darzustellenden Person. In den männ-
lichen Bildnissen dieser Zeit erlaubt sich der Meister wesent-
lich größere Freiheiten.
40 Marly 1980, S. 282, weist darauf hin, dass die Haartracht der
Dargestellten auf Bildnissen, die »zeitlos« wirken sollten,
meist der zur Entstehungszeit der Werke aktuellen Mode
entspricht. Zur Haartracht und Kopfbedeckung hollän-
discher Frauen in den 1640er Jahren vgl. Thienen 1930, S.
88-93; Kinderen-Besier 1950, S. 149-152.
41 Pendants waren für niederländische Bildnisse des 17. Jahr¬
hunderts bekanntermaßen eine besonders gebräuchliche
Form der Darstellung, vgl. Slive 1970/74, Bd. 1, S. 50f.;
Smith 1982; Haak 1984, S. 99.

42 Vgl. auch die von einem Rembrandt-Nachfolger gemalten
Pendants eines Mannes mit Falke in Phantasietracht und
einer Frau mit Fächer in Phantasietracht (beide Eaton Hall/
Cheshire, Sammlung des Duke of Westminster) [Kat. 482-
483, Taf. 102], bei denen es sich ohne Zweifel ebenfalls um
Bildnisse handelt. Zur Zuschreibung der Werke vgl. unten,
Kap. IV.2.2.4, S. 298, Anm. 185.
43 Vgl. Blankert 1982, S. 60. Für die Verwendung dieser Mo-
tive durch van Dyck vgl. Barnes et al. 2004, u.a. Kat. Nr.
1.103, 1.105, 1.106, 1.107, 1.126, 1.127, III.73, III.102, III.107,
III.115, IV.8, IV.104.
44 Bauch 1926, Kat. Nr. 144, S. 89. Nachweis der Provenienz
im Iconografisch Bureau (Den Haag), Inv. Nr. 32289.
45 Für Bildnisse van Dycks, auf denen die Dargestellten sich
mit locker herabhängender Hand auf em Piedestal stützen,
vgl. z.B. Barnes et al. 2004, Kat. Nr. 11.26, III.79, III.126.
 
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