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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0386

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358

Zusammenfassung

Für die Produzenten der Gemälde war ihre Her-
stellung aus verschiedenen Gründen von Nutzen.
Lehrlingen oder Gesellen konnten sie als Übungs-
stücke dienen. Die Bilder boten Gelegenheit, anhand
eines kompositionell leicht beherrschbaren Gegen-
stands mit unterschiedlichen Möglichkeiten des
Farbauftrags, der Farbwahl und der Beleuchtung zu
experimentieren und die überzeugende Darstellung
des menschlichen Gesichts einzuüben. Die Verwen-
dung von Tronien zu Studien- und Übungszwecken
konnte insbesondere für Rembrandt und seine Schü-
ler nachgewiesen werden. In seltenen Fällen wur-
den Tronien auch als Vorlagen für die Darstellung
der Figuren in größeren Kompositionen verwendet,
wie das bisher völlig unbeachtete Beispiel Pieter de
Grebbers zeigte.
Für Künstler, deren Laufbahn gerade erst begon-
nen hatte, war das Malen von Tronien insofern von
Vorteil, als die Produktion der Werke keinen hohen
Kostenaufwand erforderte. Außerdem konnten die
kleinformatigen Bilder in großer Zahl angefertigt
werden. Auf diese Weise wurde die Verbreitung der
Werke eines noch unbekannten Malers gefördert.
Auch stellten Tronien für junge wie für bereits etab-
lierte Künstler eine von der jeweiligen Auftragslage
unabhängige Einkommensquelle dar. Wie unsere
Studie ergab, wurde die Mehrzahl niederländischer
Tronien als selbständige Kunstwerke für den Verkauf
auf dem freien Markt hergestellt.
Der Grund für die Beliebtheit von Tronien bei
den Käufern ist nicht allein darin zu suchen, dass es
sich um besonders preisgünstige Figurenbilder han-
delte. Gezeigt wurde vielmehr, dass die spezifischen
ikonographischen und ästhetischen Eigenschaften
und Qualitäten der Werke für ihre besondere Wert-
schätzung durch die Zeitgenossen ausschlaggebend
waren. Einer der - wohl eher untergeordneten - Be-
weggründe für den Kauf einer Tronie bestand darin,
dass die Betrachter die Werke mit unterschiedlichen
Bedeutungsgehalten und Wertvorstellungen in Ver-
bindung bringen konnten: Tronien verkörperten abs-
trakte Inhalte wie z.B. Vergänglichkeit, Jugend und
Alter, konnten aber auch als positive oder negative
exempla fungieren, die menschliche Eigenschaften,
wie z.B. Frömmigkeit, Weisheit, Stärke, Torheit
oder Triebhaftigkeit, zur Anschauung brachten. In
der Forschung werden entsprechende Vermutungen
entweder ohne nähere Begründung geäußert oder
nur auf ganz bestimmte Tronietypen bezogen. Die
bisherigen Annahmen konnten zum Teil verifiziert,
in entscheidenden Punkten korrigiert und um we-

sentliche Aspekte bereichert werden. So wurde bei-
spielsweise die Ansicht widerlegt, Tronien seien ge-
nerell als Verkörperungen des Vanitas-Gedankens zu
verstehen. Vielmehr ließ sich aus der Deutung reich
kostümierter Tronien als Phantasiebildnisse hochste-
hender Persönlichkeiten folgern, dass entsprechende
Figuren vorzugsweise als Repräsentanten tugend-
hafter Charaktereigenschaften verstanden wurden.
Auf den >Charakter< der Dargestellten ließ nach
zeitgenössischer Vorstellung nicht nur der jeweils
repräsentierte Figurentyp einer Tronie schließen,
sondern auch die Physiognomie der Figuren und die
unter Umständen in ihrem Gesicht ablesbaren Af-
fekte. Die Bilder enthielten die Aufforderung an den
Betrachter, die eindringlich geschilderten Züge und
den Gesichtsausdruck der Figuren zu studieren und
mit Blick auf ihre Charaktereigenschaften zu deuten.
Der Logik physiognomischer Lehren des 16. und 17.
Jahrhunderts zufolge war die Auseinandersetzung
mit dem äußeren Erscheinungsbild eines Gegenüber
dazu geeignet, einen Reflexionsprozess bezüglich der
eigenen Charaktereigenschaften und Verhaltenswei-
sen auslösen und diente damit der sittlichen Formung
des Betrachters. Vor allem aber konnte anhand schrift-
licher Quellen des 17. Jahrhunderts deutlich gemacht
werden, dass Tronien in den Augen der Zeitgenossen
die Fähigkeit ihrer Schöpfer zu überzeugender Af-
fekt- oder Charakterdarstellung dokumentierten. Da
hierin eine der wichtigsten und zugleich schwierigsten
Aufgaben von Historien- und Genremalern bestand,
dienten die Bilder der Demonstration des künstle-
rischen Könnens ihrer Schöpfer und erzeugten da-
durch besondere Bewunderung beim Betrachter.
Neben der Visualisierung von Gemütsregungen
und Wesenszügen fand die Virtuosität von Troniema-
lern vor allem in der künstlerischen Gestaltung der
Werke ihren Ausdruck. Die Analyse der Merkmale
und Eigenschaften von Tronien ließ erkennen, dass
die inhaltlichen Implikationen der Werke gegenüber
der Betonung ihrer formal-ästhetischen Qualitäten
und der Veranschaulichung des kreativen Schaffens-
prozesses ihrer Schöpfer in den Hintergrund traten.
Es konnte gezeigt werden, dass die Zeitgenossen
zum einen gerade jene Qualitäten einer Tronie be-
sonders würdigten, die in der ersten Hälfte des 17.
Jahrhunderts mit dem Begriff des >schilderachtigen<
in Verbindung gebracht wurden. Hierzu gehörten
die veristische, auf Idealisierungen verzichtende
Darstellungsweise der Figuren, die Wiedergabe einer
besonders charakteristischen Physiognomie, aber
auch ein ausgefallenes Kolorit sowie das exotische
 
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