Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zllukrirte Welt.

136

Owscat war wie umgewandelt.
„^Vall, Mr. Billot," sagte er, eine gönnerhafte
Miene annehmend, „ich weiß schon. Freut mich
übrigens, Mr. Billot, kalkulire, werden gute
Freunde werden."
Owscat hatte unterdes die Thür aufgeschlossen,
und die beiden betraten den Expreßwagen, in
welchem eine angenehme Temperatur herrschte.
Der Ankömmling überreichte sein Beglaubi-
gungsschreiben. Es war von Herrn Baritt persön-
lich auf einen Briefbogen mit der Firma der Ge-
sellschaft abgefaßt.
Owscat unterzog es einer flüchtigen Durchsicht.
,,^ll riZbtE sagte er daun, düs Schreiben
zu sich steckend. „Haben Sie sich auch vorgesehen
mit Proviant? Es ist weit bis St. Paul. Ilebri-
gens — Rum und Wasser zu einem Glas Grog
wird von der Gesellschaft geliefert. Wir werden
es in Loululi llunetion einnehmen, kalkulire, so
gegen zwölf Uhr, wenn uns der LnZineer (Loko-
motivführer) keinen Strich durch die Rechnung
macht."
Während dessen setzte sich der Zug langsam
in Bewegung. Owscat zeigte seinem „Adjunkt"
die innere Einrichtung des Wagens, die Bücher
und Agentenlisten und ließ ihn die leichteren, durch
den Geschäftsgang erforderlichen Eintragungen und
Buchungen vornehmen. Billot zeigte sich anstellig
und willig. Wer schon einmal genötigt gewesen
ist, in einem dahinbrausenden Eisenbahnzuge schrei-
ben zu müssen, der kann sich eine ungefähre Vor-
stellung machen von der eigenartigen Thätigkeit
in eineni solchen fahrenden Bureau; das Schrei-
ben gelingt in der Regel erst nach einiger Uebung,
wenn der Körper auf dieses ewige Rütteln und
Schütteln dressirt ist. Dies und das Ungewohnte
einer ihm neuen Beschäftigung überwand Billot
jedoch mit einer verblüffenden Leichtigkeit, und
Owscat konnte sich daher bald mit seinen speziellen
Geldangelegenheiten befassen.
Der Bahnstrang wendete sich nach Norden.
Zur Rechten lag die endlose Wasserfläche des Michigansees,
auf dessen plätschernden Wellen man deutlich die bunt-
farbigen Signallichter der hin und her kreuzenden Lokal-
dampfer erblickte; aus den geschwärzten, schief liegenden
Schornsteinen stieg von Zeit zu Zeit eine glühende rot-
gelbe Lohe empor, die sich, einem Kometenschweife nicht
unähnlich, in einen Funkenbüschel anflöste, und schwächer


Rudolf von Bennigsen. (S. 138.)

und schwächer werdend, endlich ganz verschwand. Dann
änderte sich der Lauf der Bahn, es ging landeinwärts in
westlicher Richtung, quer durch die Hochebene von Wis-
consin. Rasch vorbeihüpfende Lichtfünkchen sandten Grüße
herüber aus den im Lande verstreuten Farmen oder aus
den vielen an den Flüssen und Bergseen der Gegend
vorhandenen Sägemühlen; man befand sich in der Gegend

des gesuchten „tiwderoä lancE, des bestbezahlten
Weizenbodens von Wisconsin. Dann wechselte
die Scenerie: nichts als ödes, von sogenannten
„OxeninZs« vasenförmig durchzogenes Prärieland,
wo man zwischen dem halb verbrannten Graswerk
bisweilen die leuchtenden Augen eines hungrigen
Wolfes zu erkennen glaubte; dann wieder wand
sich die Bahn mitten durch die gelichteten Reihen
der Waldriesen des amerikanischen Urwaldes, von
denen herüber der begehrliche Blick eines lauernden
Luchses oder einer Wildkatze durch die dunkle Nacht
funkelte, bis sie endlich das hügelige, zuweilen von
den dunklen Schatten hoch aufgetürmter Felspartien
unterbrochene Gelände der „blauen Berge", die
höchste Erhebung Wisconsins, erreichte, um nun-
mehr hinabzueilen nach dem Thale des „großen
Vaters der Wasser", des Mississippi.
Bei den Reisenden machten sich bald die un-
vermeidlichen Gefolgschaften einer Nachtfahrt gel-
tend. Die Konversation stockte; gähnend lehnten
sich die Passagiere zweiter Klasse (unserer dritten
entsprechend) wider die niedrige Rückwand der
harten Sitzplätze, umsonst nach einer bequemeren
Lage suchend; einige bemeisterten ihre Müdigkeit
durch ruheloses Hinundherlaufcn in den schmalen
Gängen, Tabak kauend und spuckend; andere be-
gaben sich nach dem Rauchwagen, wo man zwischen
einer Bande reisender Bettelmusikanten und whisky-
duftenden Gentlemen seine zehn Cent-Cigarre ver-
paffen durfte. Wer eine Fahrkarte für den Schlaf-
wagen hatte, lag natürlich längst in den weichen
Polstern.
Mitternacht war's. Der Zug rollte pünktlich,
weithin hörbar über die große Mississippibrücke
hinüber nach Loulati ckunetion, wo die Maschine
Wasser nehmen mußte. Dort fand auch Austausch
der Post- und Wertstücke statt im Verkehr mit den
einlaufenden Zweiglinien, und ein Lokalbeamter
der Shmithschen Expreßgesellschaft wartete bereits
auf den einlaufenden Zug.
„Ich glaube, der Satan reitet Euch, Mr.
Owscar!" rief er, rasch die Thür des Wagens aufreißend,
in welchem das Gaslicht bis zum Halbdunkel gedämpft
war; „hier ist Lsulaü ckunetion und kein Schlafwagen!
Wo sind die Checks für den LaAFgZL-Nuster?" (Gepäck-
scheine für den Packmeister.)
Aber keine Hand regte sich, und in dem Beamten
stieg eine dunkle Ahnung auf. Was war hier geschehen?


Zwcrgfcrkel im zoologischen Garten in London. (S. 139.)
 
Annotationen