„Einen Schatz?" Sie lachte kurz auf. „Nein, einen
Schatz hab' ich nicht."
„Nun, also; warum sollen wir dann nicht gut Freund
sein?"
„Weil's nicht angeht; und nun gute Nacht, ich muß
heim."
Sie griff nach ihrem Korb, den sie neben fick gestellt,
und schickte sich an, den Weg zurück zu gehen, den sie ge-
kommen. Heinrich EHIert sah auf seine Uhr.
„Alle Wetter, zwölf vorbei!" rief er, „ja, da muß ich
auch weiter. Sag mir nur das eine noch, Susanne,
warum Du hier so zu mitternächtlicher Weile herum-
streifst?"
Das Mädchen lächelte, es war ein fast schelmisches
Lächeln, das ihren stolzen Zügen einen eigenartigen Lieb-
reiz verlieh.
„Darüber haben sich schon mehr Leute den Kopf zer-
brochen und sich, weil sie nicht hinter die Wahrheit kamen,
allerlei dummes Zeug ausgedacht, das sie ausposaunen
und das ihnen gerne geglaubt wird. Sie meinen, ich gehe
mit Zauberei um." Sie sah mit ihren dunklen Augen zu
ihm auf.
„Ja, das möcht' ich nun fast selber glauben, wenn
auch in anderer Art," antwortete Ehlert rasch, während
er die vor ihm Stehende mit unverhohlener Bewunderung
betrachtete.
Susanne lachte.
„Ich will's Euch sagen, Förster, was ich hier thue.
Seht, dies ist der nächste Weg vom Koberstein zu uns,
dort wachsen viel heilsame Kräuter, die sie in der Ttadt-
apotheke brauchen, da habe ich heute fast den ganzen
Tag damit verbracht, welche zu sammeln; auch allerlei
Schwämme, die ich morgen mit zum Markt nehme. Hier
herum gibt's auch manches, und bei dem Hellen Mond-
schein kenne ich die Pflanzen und Pilze ganz genau."
„Das gibt wohl nur wenig Verdienst, Susi?"
Das Mädchen zuckte die vollen Schultern.
„Je nun, viel oder wenig, 's ist immer was und man
nährt sich doch ehrlich."
„Dein Bruder hat noch die Schmiede?"
„Ja. Und nun gute Nacht!" Sie wandte sich zum
Gehen.
Ehlert streckte ihr die Hand hin.
„Gute Nacht, Susi!"
Weiter oben in den Bergen fiel ein Schuß. Des
Mädchens Hand zuckte in der seinen und Leichenblässe
überzog ihr Antlitz, ihre Augen sahen mit starrem, angst-
vollem Ausdruck zu ihm hinüber. Beider Blicke begegneten
sich, nur sekundenlang, dann senkten sie sie schweigend,
eines vor dem andern.
„Verdammt!" murmelte Ehlert, „ein Wilderer! Laß
mich, Susanne, ich muß hin!"
Aber ehe er an ihr vorüber konnte, ergriff sie seinen
Arm und sich zu ihm neigend, flüsterte sie:
„Nein, nein, thut's nicht, Förster, nicht heute, ich be-
schwöre Euch. Es wäre doch vergebliche Müh' und Euer
Leben so gut wie verwirkt. Ich habe droben vier dunkle
Gestalten durch das Niederholz huschen sehen — bedenkt,
vier!"
„Ich muß, Susanne, ich muß!"
„Ihr müßt nicht," drängte sie, „ich will Euch nächstens
alles erklären, nur geht heute nicht. Was kann dem
König Euer Tod nützen, was kann ihn das eine geraubte
Stück Wild schädigen? Was wollt Ihr, einer gegen
vier?"
Sie redete so überzeugend und ihre schwarzen Augen
hingen mit so angstvoll flehendem Ausdruck an seinem
Munde, daß er unschlüssig wurde, was thun — so unrecht
hatte sic nicht — einer gegen vier. . .
„Gut," antwortete er endlich, „ich will Deinem Rat
folgen und danke Dir dafür. Aber ich weiß jetzt doch
wieder 'mal aus Erfahrung, daß die Schurken immer noch
ihr Wesen treiben. Verdammt, daß mir der Kerl heut
so durch die Lappen gegangen!"
Sie ließ seinen Arm los und er sah, daß sie leichen-
haft bleich war.
„Bist ja ganz blaß, Mädel," sagte er mit dem Ver-
such, zu scherzen, aber in demselben Moment mochte ihm
ein anderer Gedanke kommen, er vollendete seinen Satz
nicht, rückte das Gewehr zurecht und wandte sich zum
Gehen.
„Werde in der nächsten Zeit scharf auf der Hut sein,"
sagte er, halb mit sich selbst redend, halb zu ihr gewendet,
„und dann gehe ich nicht wieder allein. Gute Nacht,
Susanne!"
Er streckte ihr noch einmal die Hand entgegen, stumm
legte sie die ihre hinein; sie war kalt wie Eis.
„Wohin geht Ihr?" fragte sie.
„In die Bühler Tannen."
„Jst's gewiß?"
„Ganz gewiß, Leb wohl!"
Und sein Tritt verhallte im nächtlichen Dunkel, er
war unzufrieden mit sich; zum erstenmal seit seiner vier-
jährigen Dienstzeit hatte er nicht, wie er gewollt und ge-
mußt, seine Pflicht gethan; daß er des Mädchens Rat
befolgt und nicht allein sich in einen ungleichen Kampf mit
vier Wilddieben eingelassen, erschien ihm zwar gerecht-
fertigt, aber daß er die Zeit, in der er sie vielleicht cin-
Hllu strirte Mett.
zeln hier oder da hätte belauschen und sich über ihre Per-
son hätte unterrichten können, in müßigem Plaudern hatte
verstreichen lassen, verdroß ihn, und doch, das Mädchen
dauerte ihn, er mußte ihr ein paar fveundliche Worte
sagen. Gegen Susanne lag ja auch nichts vor, nur der
Bruder, der Bruder — aber ob's wahr war? Das Volk
schwatzte viel und Freunde hatte der „wilde Matthias"
ebensowenig gehabt, als die „schwarze Susanne" Ge-
spielinnen.
Auf dem Heimweg beschäftigten ihn unausgesetzt diese
und ähnliche Gedanken. Susanne und alles, was er eben
erlebt, wollte ihm nicht aus dem Kopf, und er beschloß,
die erste Gelegenheit, die sich ihm bot, zu ergreifen, um
von ihr die versprochene Auskunft zu erhalten, ihre Worte
hatten seine Neugier und, er konnte es nicht leugnen, ein
gewisses Mißtrauen in ihm rege gemacht. Aber so oft
er in den nächsten Tagen den Wald nach den verschieden-
sten Richtungen bis zur Höllenschlucht durchstreifte, nirgends
begegnete ihm Susanne, so daß er zuletzt mißmutig sein
Vorhaben aufgab, mit desto größerem Eifer aber der
Nachstellung der Wilderer oblag. Es war ihm, als müsse
er durch verschärfte Wachsamkeit das Versäumte jener
Nacht nachholen.
II.
Ganz am Ende des Dorfes, abseits von den anderen
Gehöften, lag das Häuschen des Schmieds Matthias
Raspe oder, wie die Dörfler ihn nannten, des „wilden
Matthias". Diesen Beinamen hatte er sich in seiner
Knabenzeit durch allerhand tolle Streiche erworben, und
da er auch späterhin ein verwegener Bursche blieb, be-
halten. Das Haus war baufällig und schlecht, der kleine
Garten daneben auch nicht in bester Ordnung, aber wenn
man auf die Diele und von da in die niedere Stube trat,
sah man mit dem ersten Blick, daß trotz aller Armut
Reinlichkeit und Ordnung im Hause herrschten.
Im Hintergrund stand ein mit rot und weiß karrirten
Gardinen behangenes Bett, daneben ein tannenes Kleider-
spind, vor dem Fenster, wo in thönernen Scherben Nelken
und Geranien blühten, hatte der schwere Tisch, an jeder
Seite ein Holzstuhl, alles blitzblauk gescheuert, und neben
dem großen braunen Kachelofen ein alter, mit Binsen
beflochtener Sorgenstuhl seinen Platz. Die Fenstervorhänge
waren gestopft und geflickt, aber sauber gewaschen und der
Fußboden mit frischem weißem Sand bestreut. An der
andern Seite der Diele, die mit ihrem offenen Herd gleich
als Küche diente, befanden sich noch ein paar kleine Kam-
mern, in deren einer der Matthias schlief, während die
zweite zum Aufbewahrungsort für Kartoffeln und allerlei
Gardenhandwerkszeug bestimmt war. Die Werkstatt lag
neben dem Hause und hier sah man während der Morgen-
und Nachmittagsstunden Matthias Raspe täglich fleißig
und ununterbrochen arbeiten.
Matthias war neun Jahre älter als seine Schwester
aus des Vaters zweiter Ehe, aber vom ersten Tage an
hatte der lange, wilde Junge mit einer rührenden Zärt-
lichkeit sich des kleinen Mädchens angenommen, und als
die Mutter starb und die alte Muhme ins Haus kam, da
war er es gewesen, der in nie ermüdender Sorgfalt für
das Schwesterchen sorgte, es wiegte, ihm Blumen und
bunte Steine suchte und jede freie Stunde der Kleinen
opferte; dafür liebte Susanne aber den Bruder auch mehr
als Vater, Muhme und alle Menschen in der Welt, ihni
brachte sie die ersten reisen Erdbeeren aus dem Wald,
nahm ihm abends das schwere Schurzfell ab, brachte ihm
frisches Wasser, um Gesicht und Hände zu reinigen, und
sang ihm, wenn sie manchmal noch ein Stückchen übers
Feld gingen oder in der kleinen Laube zusammen saßen,
mit ihrer frischen, weichen Stimme seine Lieblingslieder
vor. Der alte Raspe war, aus welchem Grunde wurde
nie recht aufgeklärt, von den übrigen Dorfbewohnern ge-
mieden; er war kein Einheimischer und man munkelte
allerlei von einer dunklen Vergangenheit; seine beiden
Weiber waren auch Fremde, die Mutter der Susanne
sollte gar eine Zigeunerin gewesen sein, woran freilich kein !
wahres Wort war; aber was glauben die Menschen nicht
alles, wenn's nur in der richtigen Art und Weise und zu
einer passenden Zeit ausgekramt wird. Matthias wurde
wegen seiner Körperkräfte von den Knaben gefürchtet, er
hatte auch gegen Fremde ein scheues, zurückhaltendes Wesen
und schloß sich schwer an, vollends aber, wenn er merkte,
man mache sich nicht viel aus ihm; Lhnlick erging es
Susanne, sie war ein ausgelassener Kobold und dabei ein
kluges Ding, das bald genug merkte, wie die Kinder ihr
und dem Bruder aus dem Wege gingen oder sie beim
gemeinsamen Schulgange über die Achsel ansahen. Sie
rächte sich für diese Behandlung, deren Ungerechtigkeit ihr
junges Herz empörte, durch spitze, schlagfertige Redens-
arten und allerhand kleine Bosheiten; die Zahl ihrer
Feinde mehrte sich und das Mädchen fand nie einen
rechten Freund oder eine gute Gefährtin. Dabei aber
sehnte sich das heiß empfindende Kinderherz nach Liebe
und schloß sich um so fester au den Bruder, den einzigen
Menschen, der ihr die gleichen Gefühle eutgegenbrachte.
Als Heinrich Ehlert zum alten Förster kam, wurde die
Sache insofern anders, weil Matthias damals schon den
ganzen Tag tüchtig in der Werkstatt mithelfen mußte und
feine Zeit mehr fand, mit der Schwester umherzustreifen
309
oder sie auf den gemeinsamen Spielplätzen vor den Un-
arten der anderen Knaben zu schützen; diese meinten nun,
das wehrlose Kind ungestraft quälen zu können, aber da
war es des Försters Enkelsohn, der sich des Mädchens
annahm und von der Stunde an wurden die zwei unzer-
trennliche Gefährten. Heinrichs Großvater, ein human
denkender Mann, hatte nichts dagegen, wenn der Knabe
mit der armen Snsanne spielte; das schöne und auf-
geweckte kleine Mädchen gefiel dem Alten selbst gut und
so vergingen die paar harmlos fröhlichen Kinderjahre den
beiden wie im Fluge.
Dann kam Heinrich fort, und als er wicderkehrte, ver-
ließ Susi das Elternhaus. Es folgte nun eine lange,
lange Zeit der Trennung, in der sie nichts von einander
hörten, und manches hatte sich inzwischen in dem Dorf
und in der Lage der äußeren Dinge geändert. Der alte
Raspe war tot, Matthias, in schlechte Gesellschaft geraten,
trieb allerlei, was ihn bei den Leuten in einen bösen Leu-
mund brachte, und wenn man auch nicht wagte, es laut
auszusprechen, so zogen sich doch alle noch mehr von ihm
zurück als früher und das Häuschen der Geschwister war
bald der gemiedenste Ort im Dorfe.
Matthias machte sich nichts mehr daraus, wohl aber
Susanne; so sehr sie sich auch den Anschein gab, als sei
es ihr gleickgiltig, sie empfand es doch im Herzen bitter,
und dies um so mehr, als sie sich fagte, daß erst die
Menschen es so weit gebracht, wie es jetzt war, und daß
Matthias nie an den wüsten Gesellen Gefallen gefunden
haben würde, wenn die anderen Burschen ihn nicht un-
gerechterweise aus ihren Kreisen gedrängt hätten. Jetzt
freilich, jetzt war cs zu spät, jetzt gab es wohl kein
Zurück mehr, auch für sie nicht mehr, denn wie sie einst
des Bruders Gefährtin in den Kindertagen gewesen, so
hielt sie auch jetzt treu zu ihm und suchte lieber sich in
fremden Dörfern ihr Brot zu verdienen als bei Leuten,
die mißtrauisch auf sie und verächtlich auf Matthias herab-
sahen.
Wie wüst, wie unordentlich hatte sic die kleine Woh-
nung bei der Heimkehr aus der Fremde gefunden; da gab
es alle Hände voll zu thun, wieder Sauberkeit und
Ordnung zu schaffen. Wie war auch der Bruder so ganz
anders geworden!
Einige Wochen nach jener Begegnung mit dem Förster
war Sufanne früh morgens beschäftigt, in einem Kessel
über dem offenen Herd den Kaffee zu kochen. Die Sonne
hatte sich eben in strahlender Schönheit aus den Wolken
gehoben und über Wald und Flur lag noch die ganze
traumhafte, taufrische Stille der ersten Tagesstunden;
das Mädchen hatte schon ein paarmal mit ängstlich for-
schendem Blick hinausgespäht in die Ferne. Jetzt, als sic
sich eben am Herd zu schaffen machte, vernahm sie einen
leisen, hastigen Schritt und gleich darauf ein Geräusch in
der offenstehenden Kammer des Bruders; Ueberraschung
und Schreck in den Zügen, trat sie durch die niedere Thür
und gewahrte einen Mann, der sich leicht und gewandt
durch das Fenster in den kleinen Raum schwang.
„Matthias!"
Ein zorniger Blick traf die Ruferin; die Fensterflügel
hinter sich zuziehend, sank der Ankömmling mit leisem
Stöhnen auf den Holzschemel vor dem ärmlichen Lager
und Susanne gewahrte, daß er den rechten Arm unter
dem übergehängten Rock in ein Tuch gebunden und sest
an die Brust gepreßt hatte. Das Gesicht war bleich und
die'Lippen zuckten von verhaltenen körperlichen Schmerzen,
die Augen aber funkelten in wilder Glut unter den
schwarzen, kühn geschwungenen Brauen hervor. Susanne
trat, die Thür schließend, näher.
„Um Gottes willen, Matthias, was ist geschehen?"
flüsterte sie angstvoll; „Du trägst ein blutiges Tuch, Du
bist verwundet!"
„Verwundet? Angeschossen, sage lieber, angeschossen
wie ein Stück Wild, und recht wär's ihm schon gewesen,
dem Schurken im grünen Rock, wenn ich auch gleich hinter
dem nächsten Busch verendet wäre, wie ein solches ver......"
murmelte er grimmig zwischen den knirschenden Zähnen
hervor.
Das Mädchen schauderte zusammen und ihre Finger
zitterten, als sie die Knöpfe des Rockes löste und ihn von
der Schulter des Bruders nahm.
Die Kugel hatte, den Oberarm streifend, eine tiefe,
schmerzhafte Fleischwunde gerissen, die nach Entfernung
des notdürftigen Verbandes aufs neue heftig zu bluten
begann. Susanne holte altes Linnen und eine Flasche
mit selbstbereiteter Tinktur. Nachdem sie die Wunde ge-
reinigt, verband sie dieselbe sorgfältig.
«Fortsetzung folgt.)
D e n k sp r u ch.
Junge Mädchen sollen zahm und wilde sein,
So bleibt ihr Leib und Lob lang rein;
Gegen Freunde zahm, gegen Fremde wild,
Bei Bekannten und Fremden ein züchtig Bild.
So besteht ihr Lob in hohem Werte,
Wie der Sonnenschein über der Erde.
Schatz hab' ich nicht."
„Nun, also; warum sollen wir dann nicht gut Freund
sein?"
„Weil's nicht angeht; und nun gute Nacht, ich muß
heim."
Sie griff nach ihrem Korb, den sie neben fick gestellt,
und schickte sich an, den Weg zurück zu gehen, den sie ge-
kommen. Heinrich EHIert sah auf seine Uhr.
„Alle Wetter, zwölf vorbei!" rief er, „ja, da muß ich
auch weiter. Sag mir nur das eine noch, Susanne,
warum Du hier so zu mitternächtlicher Weile herum-
streifst?"
Das Mädchen lächelte, es war ein fast schelmisches
Lächeln, das ihren stolzen Zügen einen eigenartigen Lieb-
reiz verlieh.
„Darüber haben sich schon mehr Leute den Kopf zer-
brochen und sich, weil sie nicht hinter die Wahrheit kamen,
allerlei dummes Zeug ausgedacht, das sie ausposaunen
und das ihnen gerne geglaubt wird. Sie meinen, ich gehe
mit Zauberei um." Sie sah mit ihren dunklen Augen zu
ihm auf.
„Ja, das möcht' ich nun fast selber glauben, wenn
auch in anderer Art," antwortete Ehlert rasch, während
er die vor ihm Stehende mit unverhohlener Bewunderung
betrachtete.
Susanne lachte.
„Ich will's Euch sagen, Förster, was ich hier thue.
Seht, dies ist der nächste Weg vom Koberstein zu uns,
dort wachsen viel heilsame Kräuter, die sie in der Ttadt-
apotheke brauchen, da habe ich heute fast den ganzen
Tag damit verbracht, welche zu sammeln; auch allerlei
Schwämme, die ich morgen mit zum Markt nehme. Hier
herum gibt's auch manches, und bei dem Hellen Mond-
schein kenne ich die Pflanzen und Pilze ganz genau."
„Das gibt wohl nur wenig Verdienst, Susi?"
Das Mädchen zuckte die vollen Schultern.
„Je nun, viel oder wenig, 's ist immer was und man
nährt sich doch ehrlich."
„Dein Bruder hat noch die Schmiede?"
„Ja. Und nun gute Nacht!" Sie wandte sich zum
Gehen.
Ehlert streckte ihr die Hand hin.
„Gute Nacht, Susi!"
Weiter oben in den Bergen fiel ein Schuß. Des
Mädchens Hand zuckte in der seinen und Leichenblässe
überzog ihr Antlitz, ihre Augen sahen mit starrem, angst-
vollem Ausdruck zu ihm hinüber. Beider Blicke begegneten
sich, nur sekundenlang, dann senkten sie sie schweigend,
eines vor dem andern.
„Verdammt!" murmelte Ehlert, „ein Wilderer! Laß
mich, Susanne, ich muß hin!"
Aber ehe er an ihr vorüber konnte, ergriff sie seinen
Arm und sich zu ihm neigend, flüsterte sie:
„Nein, nein, thut's nicht, Förster, nicht heute, ich be-
schwöre Euch. Es wäre doch vergebliche Müh' und Euer
Leben so gut wie verwirkt. Ich habe droben vier dunkle
Gestalten durch das Niederholz huschen sehen — bedenkt,
vier!"
„Ich muß, Susanne, ich muß!"
„Ihr müßt nicht," drängte sie, „ich will Euch nächstens
alles erklären, nur geht heute nicht. Was kann dem
König Euer Tod nützen, was kann ihn das eine geraubte
Stück Wild schädigen? Was wollt Ihr, einer gegen
vier?"
Sie redete so überzeugend und ihre schwarzen Augen
hingen mit so angstvoll flehendem Ausdruck an seinem
Munde, daß er unschlüssig wurde, was thun — so unrecht
hatte sic nicht — einer gegen vier. . .
„Gut," antwortete er endlich, „ich will Deinem Rat
folgen und danke Dir dafür. Aber ich weiß jetzt doch
wieder 'mal aus Erfahrung, daß die Schurken immer noch
ihr Wesen treiben. Verdammt, daß mir der Kerl heut
so durch die Lappen gegangen!"
Sie ließ seinen Arm los und er sah, daß sie leichen-
haft bleich war.
„Bist ja ganz blaß, Mädel," sagte er mit dem Ver-
such, zu scherzen, aber in demselben Moment mochte ihm
ein anderer Gedanke kommen, er vollendete seinen Satz
nicht, rückte das Gewehr zurecht und wandte sich zum
Gehen.
„Werde in der nächsten Zeit scharf auf der Hut sein,"
sagte er, halb mit sich selbst redend, halb zu ihr gewendet,
„und dann gehe ich nicht wieder allein. Gute Nacht,
Susanne!"
Er streckte ihr noch einmal die Hand entgegen, stumm
legte sie die ihre hinein; sie war kalt wie Eis.
„Wohin geht Ihr?" fragte sie.
„In die Bühler Tannen."
„Jst's gewiß?"
„Ganz gewiß, Leb wohl!"
Und sein Tritt verhallte im nächtlichen Dunkel, er
war unzufrieden mit sich; zum erstenmal seit seiner vier-
jährigen Dienstzeit hatte er nicht, wie er gewollt und ge-
mußt, seine Pflicht gethan; daß er des Mädchens Rat
befolgt und nicht allein sich in einen ungleichen Kampf mit
vier Wilddieben eingelassen, erschien ihm zwar gerecht-
fertigt, aber daß er die Zeit, in der er sie vielleicht cin-
Hllu strirte Mett.
zeln hier oder da hätte belauschen und sich über ihre Per-
son hätte unterrichten können, in müßigem Plaudern hatte
verstreichen lassen, verdroß ihn, und doch, das Mädchen
dauerte ihn, er mußte ihr ein paar fveundliche Worte
sagen. Gegen Susanne lag ja auch nichts vor, nur der
Bruder, der Bruder — aber ob's wahr war? Das Volk
schwatzte viel und Freunde hatte der „wilde Matthias"
ebensowenig gehabt, als die „schwarze Susanne" Ge-
spielinnen.
Auf dem Heimweg beschäftigten ihn unausgesetzt diese
und ähnliche Gedanken. Susanne und alles, was er eben
erlebt, wollte ihm nicht aus dem Kopf, und er beschloß,
die erste Gelegenheit, die sich ihm bot, zu ergreifen, um
von ihr die versprochene Auskunft zu erhalten, ihre Worte
hatten seine Neugier und, er konnte es nicht leugnen, ein
gewisses Mißtrauen in ihm rege gemacht. Aber so oft
er in den nächsten Tagen den Wald nach den verschieden-
sten Richtungen bis zur Höllenschlucht durchstreifte, nirgends
begegnete ihm Susanne, so daß er zuletzt mißmutig sein
Vorhaben aufgab, mit desto größerem Eifer aber der
Nachstellung der Wilderer oblag. Es war ihm, als müsse
er durch verschärfte Wachsamkeit das Versäumte jener
Nacht nachholen.
II.
Ganz am Ende des Dorfes, abseits von den anderen
Gehöften, lag das Häuschen des Schmieds Matthias
Raspe oder, wie die Dörfler ihn nannten, des „wilden
Matthias". Diesen Beinamen hatte er sich in seiner
Knabenzeit durch allerhand tolle Streiche erworben, und
da er auch späterhin ein verwegener Bursche blieb, be-
halten. Das Haus war baufällig und schlecht, der kleine
Garten daneben auch nicht in bester Ordnung, aber wenn
man auf die Diele und von da in die niedere Stube trat,
sah man mit dem ersten Blick, daß trotz aller Armut
Reinlichkeit und Ordnung im Hause herrschten.
Im Hintergrund stand ein mit rot und weiß karrirten
Gardinen behangenes Bett, daneben ein tannenes Kleider-
spind, vor dem Fenster, wo in thönernen Scherben Nelken
und Geranien blühten, hatte der schwere Tisch, an jeder
Seite ein Holzstuhl, alles blitzblauk gescheuert, und neben
dem großen braunen Kachelofen ein alter, mit Binsen
beflochtener Sorgenstuhl seinen Platz. Die Fenstervorhänge
waren gestopft und geflickt, aber sauber gewaschen und der
Fußboden mit frischem weißem Sand bestreut. An der
andern Seite der Diele, die mit ihrem offenen Herd gleich
als Küche diente, befanden sich noch ein paar kleine Kam-
mern, in deren einer der Matthias schlief, während die
zweite zum Aufbewahrungsort für Kartoffeln und allerlei
Gardenhandwerkszeug bestimmt war. Die Werkstatt lag
neben dem Hause und hier sah man während der Morgen-
und Nachmittagsstunden Matthias Raspe täglich fleißig
und ununterbrochen arbeiten.
Matthias war neun Jahre älter als seine Schwester
aus des Vaters zweiter Ehe, aber vom ersten Tage an
hatte der lange, wilde Junge mit einer rührenden Zärt-
lichkeit sich des kleinen Mädchens angenommen, und als
die Mutter starb und die alte Muhme ins Haus kam, da
war er es gewesen, der in nie ermüdender Sorgfalt für
das Schwesterchen sorgte, es wiegte, ihm Blumen und
bunte Steine suchte und jede freie Stunde der Kleinen
opferte; dafür liebte Susanne aber den Bruder auch mehr
als Vater, Muhme und alle Menschen in der Welt, ihni
brachte sie die ersten reisen Erdbeeren aus dem Wald,
nahm ihm abends das schwere Schurzfell ab, brachte ihm
frisches Wasser, um Gesicht und Hände zu reinigen, und
sang ihm, wenn sie manchmal noch ein Stückchen übers
Feld gingen oder in der kleinen Laube zusammen saßen,
mit ihrer frischen, weichen Stimme seine Lieblingslieder
vor. Der alte Raspe war, aus welchem Grunde wurde
nie recht aufgeklärt, von den übrigen Dorfbewohnern ge-
mieden; er war kein Einheimischer und man munkelte
allerlei von einer dunklen Vergangenheit; seine beiden
Weiber waren auch Fremde, die Mutter der Susanne
sollte gar eine Zigeunerin gewesen sein, woran freilich kein !
wahres Wort war; aber was glauben die Menschen nicht
alles, wenn's nur in der richtigen Art und Weise und zu
einer passenden Zeit ausgekramt wird. Matthias wurde
wegen seiner Körperkräfte von den Knaben gefürchtet, er
hatte auch gegen Fremde ein scheues, zurückhaltendes Wesen
und schloß sich schwer an, vollends aber, wenn er merkte,
man mache sich nicht viel aus ihm; Lhnlick erging es
Susanne, sie war ein ausgelassener Kobold und dabei ein
kluges Ding, das bald genug merkte, wie die Kinder ihr
und dem Bruder aus dem Wege gingen oder sie beim
gemeinsamen Schulgange über die Achsel ansahen. Sie
rächte sich für diese Behandlung, deren Ungerechtigkeit ihr
junges Herz empörte, durch spitze, schlagfertige Redens-
arten und allerhand kleine Bosheiten; die Zahl ihrer
Feinde mehrte sich und das Mädchen fand nie einen
rechten Freund oder eine gute Gefährtin. Dabei aber
sehnte sich das heiß empfindende Kinderherz nach Liebe
und schloß sich um so fester au den Bruder, den einzigen
Menschen, der ihr die gleichen Gefühle eutgegenbrachte.
Als Heinrich Ehlert zum alten Förster kam, wurde die
Sache insofern anders, weil Matthias damals schon den
ganzen Tag tüchtig in der Werkstatt mithelfen mußte und
feine Zeit mehr fand, mit der Schwester umherzustreifen
309
oder sie auf den gemeinsamen Spielplätzen vor den Un-
arten der anderen Knaben zu schützen; diese meinten nun,
das wehrlose Kind ungestraft quälen zu können, aber da
war es des Försters Enkelsohn, der sich des Mädchens
annahm und von der Stunde an wurden die zwei unzer-
trennliche Gefährten. Heinrichs Großvater, ein human
denkender Mann, hatte nichts dagegen, wenn der Knabe
mit der armen Snsanne spielte; das schöne und auf-
geweckte kleine Mädchen gefiel dem Alten selbst gut und
so vergingen die paar harmlos fröhlichen Kinderjahre den
beiden wie im Fluge.
Dann kam Heinrich fort, und als er wicderkehrte, ver-
ließ Susi das Elternhaus. Es folgte nun eine lange,
lange Zeit der Trennung, in der sie nichts von einander
hörten, und manches hatte sich inzwischen in dem Dorf
und in der Lage der äußeren Dinge geändert. Der alte
Raspe war tot, Matthias, in schlechte Gesellschaft geraten,
trieb allerlei, was ihn bei den Leuten in einen bösen Leu-
mund brachte, und wenn man auch nicht wagte, es laut
auszusprechen, so zogen sich doch alle noch mehr von ihm
zurück als früher und das Häuschen der Geschwister war
bald der gemiedenste Ort im Dorfe.
Matthias machte sich nichts mehr daraus, wohl aber
Susanne; so sehr sie sich auch den Anschein gab, als sei
es ihr gleickgiltig, sie empfand es doch im Herzen bitter,
und dies um so mehr, als sie sich fagte, daß erst die
Menschen es so weit gebracht, wie es jetzt war, und daß
Matthias nie an den wüsten Gesellen Gefallen gefunden
haben würde, wenn die anderen Burschen ihn nicht un-
gerechterweise aus ihren Kreisen gedrängt hätten. Jetzt
freilich, jetzt war cs zu spät, jetzt gab es wohl kein
Zurück mehr, auch für sie nicht mehr, denn wie sie einst
des Bruders Gefährtin in den Kindertagen gewesen, so
hielt sie auch jetzt treu zu ihm und suchte lieber sich in
fremden Dörfern ihr Brot zu verdienen als bei Leuten,
die mißtrauisch auf sie und verächtlich auf Matthias herab-
sahen.
Wie wüst, wie unordentlich hatte sic die kleine Woh-
nung bei der Heimkehr aus der Fremde gefunden; da gab
es alle Hände voll zu thun, wieder Sauberkeit und
Ordnung zu schaffen. Wie war auch der Bruder so ganz
anders geworden!
Einige Wochen nach jener Begegnung mit dem Förster
war Sufanne früh morgens beschäftigt, in einem Kessel
über dem offenen Herd den Kaffee zu kochen. Die Sonne
hatte sich eben in strahlender Schönheit aus den Wolken
gehoben und über Wald und Flur lag noch die ganze
traumhafte, taufrische Stille der ersten Tagesstunden;
das Mädchen hatte schon ein paarmal mit ängstlich for-
schendem Blick hinausgespäht in die Ferne. Jetzt, als sic
sich eben am Herd zu schaffen machte, vernahm sie einen
leisen, hastigen Schritt und gleich darauf ein Geräusch in
der offenstehenden Kammer des Bruders; Ueberraschung
und Schreck in den Zügen, trat sie durch die niedere Thür
und gewahrte einen Mann, der sich leicht und gewandt
durch das Fenster in den kleinen Raum schwang.
„Matthias!"
Ein zorniger Blick traf die Ruferin; die Fensterflügel
hinter sich zuziehend, sank der Ankömmling mit leisem
Stöhnen auf den Holzschemel vor dem ärmlichen Lager
und Susanne gewahrte, daß er den rechten Arm unter
dem übergehängten Rock in ein Tuch gebunden und sest
an die Brust gepreßt hatte. Das Gesicht war bleich und
die'Lippen zuckten von verhaltenen körperlichen Schmerzen,
die Augen aber funkelten in wilder Glut unter den
schwarzen, kühn geschwungenen Brauen hervor. Susanne
trat, die Thür schließend, näher.
„Um Gottes willen, Matthias, was ist geschehen?"
flüsterte sie angstvoll; „Du trägst ein blutiges Tuch, Du
bist verwundet!"
„Verwundet? Angeschossen, sage lieber, angeschossen
wie ein Stück Wild, und recht wär's ihm schon gewesen,
dem Schurken im grünen Rock, wenn ich auch gleich hinter
dem nächsten Busch verendet wäre, wie ein solches ver......"
murmelte er grimmig zwischen den knirschenden Zähnen
hervor.
Das Mädchen schauderte zusammen und ihre Finger
zitterten, als sie die Knöpfe des Rockes löste und ihn von
der Schulter des Bruders nahm.
Die Kugel hatte, den Oberarm streifend, eine tiefe,
schmerzhafte Fleischwunde gerissen, die nach Entfernung
des notdürftigen Verbandes aufs neue heftig zu bluten
begann. Susanne holte altes Linnen und eine Flasche
mit selbstbereiteter Tinktur. Nachdem sie die Wunde ge-
reinigt, verband sie dieselbe sorgfältig.
«Fortsetzung folgt.)
D e n k sp r u ch.
Junge Mädchen sollen zahm und wilde sein,
So bleibt ihr Leib und Lob lang rein;
Gegen Freunde zahm, gegen Fremde wild,
Bei Bekannten und Fremden ein züchtig Bild.
So besteht ihr Lob in hohem Werte,
Wie der Sonnenschein über der Erde.