Illnstrirte Welt.
593
Haar aus der Stirne und jagte: „Ich? Nichts. Ich möchte
Dich nur einmal heiraten."
„Tu — mich?" lachte die hübsche Dolorida. „Sieh Dich
nur an!"
Manfreds sah sich erstaunt an, von den nackten braunen
Füßen bis unter die Nase. Weiter hinauf konnte er nicht sehen.
Er sah feine schuhlosen Füße, seine kotige, geflickte Hose und seine
fleckige Bluse. Da ward cr ganz kleinmütig und seuszte. Aber
Dolorida streichelte ihn und nahm aus ihrer Tasche Zuckerzeug
(ihre Mutter, die reiche Kassirerin, lebte wie eine vornehme Dame)
und sic setzten sich auf den Wiesenrain, und Dolorida steckte dem
Lebkuchen Süßigkeiten in den Hals und sagte: „Siehst Du.
Lebkuchen-Manfredo, ich möchte Dich ja gern heiraten, wenn die
Zeit kommt: aber Du bist nichts, kannst nichts, weißt nichts.
Und meine Mutter will mich nur einem „Künstler" geben und
hat mich für den blonden Rosina bestimmt, der so schön Teller
drehen und brennendes Werg schlucken kann!" Sie sagte das so
traurig, daß Lebkuchen sie tröstete, dann fing er aber selber
zu weinen an, so daß sie ihn wieder streicheln mußte, und dann
aßen sie unter Thränen ihr Zuckerzeug und gingen heim.
Es war dies eine schöne Sommernacht, und da Zio Mario
in dein Städtchen in einem Wirtshause Kartenkünste machte und
seine Frau ohne Unterleib sich produzirte, waren nur der alte
Ruffo und die Bären, die mit den Hunden im Freien kampirten,
während die Hyänen und die Schlange in den Käfigen schliefen,
hier, um den Wohnungswagen zu bewachen.
Der alte Ruffo hatte sich ins kühle Gras gelegt und schlief:
fein Sohn Lebkuchen lag neben ihm, die Hunde um sie herum.
Im Wohnungswagen kochte das Nachtmahl, und Weizenkorn-
Rosina, der es zu beaussichtigcn hatte, spielte auf der Hinteren
Galerie des Wagens mit einer Schnur, an welche ein Stück Speck
gebunden war, und neckte damit die Hunde. Es war eine stille,
dunkle, herbstliche Nacht.
Aus dem Rauche, welcher dem Kamine entströmte, flogen
lustige Funken in den Wind, denen Lebkuchen-Manfredo zufchaute.
Plötzlich sah er, daß einer der Funken in der Strohdecke des
Wagens zu glimmen begann und die geflochtene Strohdecke ent-
zündete, welche auf dem Wagen lag.
„Das ist gut," jagte der Knabe. „Jetzt verbrennt der
Wagen und Weizenkorn auch mit, und er wirb Dolorida nicht
mehr heiraten können." Und laut rief cr Weizenkorn-Rosina
zu: „Ich wette, Du wirst Dolorida nicht heiraten, wenn Du
groß bist!"
„Ich werde sie heiraten!" höhnte Weizenkorn-Rosina herüber.
Manfreds lachte und schaute. Aber wie das Geflecht wirklich
zu brennen begann, schrie er wie närrisch: „Weizenkorn, rette
Dich!" — und riß seinen Vater aus dem Schlafe und zeigte ihm,
wie die Bären ängstlich am Wagen emporsprangen, als wollten
sie helfen, und der alte Ruffo sprang auf und lief nach Wasser
und löschte das Glimmen.
Als die Gefahr vorbei war, stürzte aber Weizenkorn-Nosina
auf Lebkuchen-Manfredo und sing an, ihn mit den Fäusten zu
bearbeiten. Manfreds gab ihm einen Hieb ins Gesicht und rief:
„Warum schlägst Du mich?"
„Weil Lu mich nur gerettet hast, um Dich vor Dolorida
schön zu machen!" schrie Weizenkorn-Rosina. Und sie prügelten
sich so lange, bis der Alte einen Bären zwischen sie schickte. Aber
Weizenkorn wurde aus Schrecken krank und Dolorida pflegte ihn
so mitleidig, daß der Blonde sich ein Herz nahm und sie fragte,
ob sie ihn heiraten wolle, wenn die Zeit gekommen s.i.
Ta wandte sie sich jedoch stolz um und jagte scharf: „Ich
werde niemals einen .TellerLreher' heiraten!"
II.
Tann kam die Zeit, daß beide Jungen zum Militär mußten.
Als sie niit den anderen Rekruten zur Stadt zogen, ging Weizen-
korn in der ersten Reihe, ganz ausstaffirt von der reichen
Kassirerin, welche in ihm schon den künftigen Gatten ihrer
hübschen Dolorida sah. Er trug eine neue Bluse, seine Augen
waren vom Weinen so rot wie die eines Kaninchens und von
seinem großen Hute flatterten acht Ellen rote Bänder.
Der arme Lebkuchen ging in der letzten Reihe in seinem
schäbigen Anzuge und in seiner zerlumpten Mütze. Aber auf
dem Wege wußte er sich loszumachen, da er Dolorida hinter
einem Weidenbaume weinen sah, lief auf sie zu und bekam zwei
zärtliche Küste, eine Menge Zuckerzeug und eine Börse mit ihren
Ersparnissen mit auf den Weg.
Sie kamen beide zu verschiedenen Regimentern. Ter eine
nach Neapel hinunter, der andere nach Rom hinauf. Weizen-
korn, welcher lesen und schreiben konnte und fleißig und ordent-
lich im Dienste war, brachte es bis zum Korporal. Lebkuchen
war ein tapferer Soldat, konnte sich aber nie in die Disziplin
fügen, kam aus einer Strafe in die andere und blieb Gemeiner.
Nach einigen Jahren geschah es, daß die beiden Regimenter in
eines verschmolzen wurden, und die jungen Männer sahen ein-
ander wieder. Als sie sich zum erstenmal im Kasernenhof fanden,
sielen sie einander uni den Hals, gingen miteinander in eine
Osteria und wurden in der Nacht arretirt, da sie sich jämmer-
lich zerbläut hatten.
Als sie wieder frei wurden, benützten sie den ersten Ausgang
und gingen spazieren. Auf einer Brücke blieben sie stehen und
Weizcnkorn sagte zu Lebkuchen:
„Ich wette, daß Du es nicht wagen würdest, mich in den
Fluß zu werfen."
„Warum nicht?" fragte Manfreds.
„Weil ich Dein Korporal bin."
Sogleich faßte Manfreds seinen alten Feind Rosina am
Kragen und an den Beinen und derselbe flog kopfüber in das
Wasser.
Rosina war ein schlechter Schwimmer, plätscherte eine Weile,
schnappte nach Luft und sank.
„Ist das ein dummer Kerl!" lachte Manfrede, der ihm zu-
schaute. „Jetzt ertrinkt er und wird Dolorida nicht heiraten."
Aber als Rosina nicht wieder erschien, sprang Manfreds ins
Wasser, tauchte unter und brachte ihn an einem Büschel seiner
blonden Haare wieder ans Land. Sobald Rosina wieder Lüft
schnappen konnte, stürzte er sich auf seinen alten Feind und bläute
ihn durch. Als Manfreds sich über diesen Undank klar wurde,
llab er dem blonden Rosina einen solchen Faustjchlag über die
Nase, daß dieselbe von der Stunde an krumm blieb.
Als endlich die Zeit gekommen war, wo die beiden Feinde
das Militär verließen, kehrten sie nach Hause zurück. Zu Zio
Mario, Ruffo, der dicken reichen Kassirerin mit den Thalern
in den Strümpfen, den Bären, Hyänen, Schakalen, Papageien
und der Schlange, welche noch immer regungslos in der Wolle lag.
Sie wurden von allen (die Schlange ausgenommen) mit
Heller Freude empfangen und verbrachten einen glücklichen
Abend miteinander. Am andern Tage aber ging cs von neuem los.
Die dicke Kassirerin nahm ihren Liebling, den blondhaarigen,
sanften Künstler Rosina, beiseite, hatte eine lange Unterredung
mit ihm, führte ihn dann zu ihrer Tochter Dolorida und sagte:
„Dolorida, Rosina, dieser brave Soldat, welcher es bis zum
Korporal gebracht hat, ist zurllckgckommcn. Er ist ein echter
Künstler geblieben, ich Habs ihn unter vier Augen geprüft: er
kann Teller drehen wie Mr. James, auf den Händen gehen wie
Signor Fricco und Purzelbäume in der Luft machen wie ein
Gott. Er ist Dir treu geblieben und will Dich heiraten. Ich
gebe euch meinen Segen und meine Strümpfe — ich will sagen
Thaler. Nehmt euch!"
Da lichtete sich aber die kleine, stille, dunkeläugige Dolorida
auf und sagte: „Es thut mir leid, Mama, aber ich kann Signor
Rosina nicht heiraten."
„Und warum nicht?" fragte die dicke Kassirerin, vor Zorn
eine Stellung einnehmend wie ein gereizter Stier in der Arena.
„Weil ich gestern abend meinem Manfreds das Jawort ge-
geben habe. Er ist mir auch treu geblieben."
„Aber er ist nicht Korporal geworden!" rief Rosina.
„Aber cr kann nicht einmal auf dem Kopse stehen!" rief
die Kassirerin.
„Er kann nichts, als die Bären füttern!" knirschte Rosina.
„Er ist keine Künstlernatur!" drohte die Kassirerin.
„Er ist so braun wie eine geröstete Kastanie!" wütete Rosina.
„Aber ich liebe ihn!" entgegnete das hübsche Mädchen einfach.
Dagegen ließ sich nichts sagen. Doch rief die Kassirerin, noch
grün vor Zorn: „Ich gebe euch keinen Strümps!"
„Das thut mir leid," sagte Dolorida trotzig. „Aber ich will
lieber ohne Deine Strümpfe Lurchs Leben gehen, Mama, als
mit dem Signor da — auf dem Kopfe stehen."
Die kleine Dolorida war ein entschlossenes Mädchen, und
man wußte, daß sie that, was sie wollte. So wurde sie die
Braut des schwarzhaarigen, braungesichtigen, schönen Manfreds.
Aber der blondhaarige Rosina schwur seinem alten Feinde
Rache.
Er besaß ein Mittel, um die Bären „betrunken" zu machen.
Er hatte es von einem alten Fütterer erhalten, der den jungen
Burschen lieb gehabt, und das niemand kannte. Wenn ein Bär
dieses Mittel im Futter bekommen, wurde er wie betäubt —
berauscht wie ein Mensch. Er blieb dann faul und träge. Nur
wenn man ihn in einem solchen Zustande reizte, wurde er wütend
und zerriß jeden, der ihm in die Nähe kam.
Am Abende war große Vorstellung in der Stadt in der
Lombardei, in welcher sic eben weilten. Ehe man das Publikum
zulieb, wurde den Tieren „Toilette gemacht", wie es in der
Bagabundensprache heißt, das heißt die Käfige wurden gereinigt,
den wilden Tieren wurden Befänftigungsmittel eingegeben und
so weiter, die Schlange in der Wolle wurde erwärmt.
Ta ging auch Rosina an den Bärenkäfig und ließ die beiden
größten Tiere heraus, um den Käfig zu reinigen. Dem großen
sibirischen Bären — einem entsetzlichen Tiere mit riesenhaften
Gliedern — streichelte er das zottige Haupt und gab ihm einen
jener Kuchen in den Nachen, welche man in der Compagnia
Mario eigens für die Bären zu backen pflegte. Er hatte diesen
Kuchen aus der eigenen Tasche gezogen; denn es war ein von
ihm besonders bereiteter Kuchen, welcher von dem schrecklichen
Mittel „Ebrio" getränkt war. Der Sibirier verschlang denselben
auf einen Schluck.
Nachdem die Käfige gereinigt, begann die Vorstellung.
Während der alte, dicke Mario draußen die beiden kleinen ge-
lehrten Pferde ihre Künste machen ließ, wurde der große Bären-
käfig langsam hinausgeschoben.
„Ich wette," sagte Rosina zu seinem Nebenbuhler und
„Jugendfeinde", „daß Du heute nicht in den Käfig des sibirischen
Kerls gehen und die Produktion mit den Pistolen und Reisen
machen möchtest!" Er war sehr blaß, wie er das sagte, und
seine Augen hatten einen seltsamen fahlen Glanz.
„Ich wette, ich thu's dennoch!" sagte Manfreds. Und als
der Wagen draußen war, ergriff er die Reisen, die Pistole, die
Peitschen und sprang in den Käfig des Sibiriers, welcher faul
und wie bewußtlos, einem Trunkenen gleich, in der Ecke lag.
Nur hatte derselbe die Augen nicht ganz geschlossen, sondern
schielte mit rotschimmernden Blicken zwischen den Lidern vor.
Mansredo fing an, ihn niit dem Eisen und der Peitsche auf-
zustacheln, damit er seine Künste mache. Als er noch immer
regungslos liegen blieb, gab er ihm einen Fußtritt, denn er
hatte nicht gemerkt, wie der Blick des Tieres immer glühender
wurde. Jetzt richtete sich dasselbe in seiner ganzen Größe zitternd
und drohend auf und die Augen sprühten Flammen und ein
tiefes Röcheln tönte aus seiner Brust.
Da erscholl ein gellender, heiserer Schrei. Es war Rosina,
der ihn ausstieß. Er stürzte mit einem Satze auf den Bären-
käfig zu, riß die Thüre aus, sprang hinein, faßte mit über-
menschlicher Gewalt seinen Nebenbuhler, den, welchen er hatte
verderben wollen, und warf ihn aus dem Käfig. Er selber hatte
nicht mehr Zeit, ihm zu folgen, denn der Bär hatte sich in
einem Wutausbruche auf ihn gestürzt, ihn mit den riesigen
Pranken zu Boden geschlagen und zerfleischte den armen Rosina
mit Zahn und Klauen, daß bald nur noch eine unkenntliche
Maste übrig war.
Es sind viele Jahre seitdem vergangen. Manfreds und
Dolorida sind ein glückliches Paar geworden. Sie haben die
Menagerie längst aufgegeben und haben mit den Strümpfen
der dicken Kassirerin ein großes Cafe in Genf in Besitz, welches
den seltsamen Titel führt: „Zum Weizcnkorn". Pastille.
Zur Rosenzeit.
(Bild S. SS?.)
nr Rosenzeit, am Gartcnzaun,
Da fliistert's hin und her;
Die Knospen wollten viel wissen schon,
Die Blumen noch weit mehr.
Zur Rosenzeit, am Gartenzaun,
Ein Nenschenknösplcin stand
Und hielt, sie wußte wohl auch schon 'was,
Lin Zweiglein in der Hand.
Zur Rosenzeit, ain Gartcnzaun,
Lin Stimmlein zagend spricht:
Ihr seid so schön und ihr welkt so bald —
So thut doch Liebe nicht?
Nach zwanzig Jahren.
Erzählung
von
I ß. I. «Lievctrcu.
(Alle Rechte Vorbehalten.)
Ifl^^age, mein Junge, wie bist Du gerade auf den Gc-
danken gekommen, dieses von der Stadt doch
ziemlich weit abgelegene Landhaus zu kaufen!
Zwanzig Jahre steht cS unbewohnt, nur Spinnen
und Mäuse Hausen darin. Die alte Wetterfahne auf dem
Dache ist schon ganz heiser vor Altersschwäche, und wenn
nicht der üppige Epheu hier auf der Gartenseite die Wände
mitleidig bedeckte, ich glaube, das Ganze erschiene wie eine
Ruine aus alten Zeiten! Nun, gar hier erst im Garten!
Alle Wege von Unkraut überwuchert, das Unterholz un-
durchdringlich, und die Meisen und Zeisige auf den Bäumen
schauen uns an, als wollten sic fragen: .Was wollt ihr
denn eigentlich hier?' Sage, mein Junge, wie bist Du
auf diesen absonderlichen Gedanken, gekommen?"
So sprach ein alter, freundlich blickender Herr zu einem
jüngeren Manne, aus dessen geistreichem, bartumrahmtem
Gesicht sich ein leichtes Lächeln ob der langen Rede dcS
andern hervorwagte.
„Gerade um Dir die Gründe zu erzählen, lieber Onkel,
habe ich Dich gebeten, hieher mit mir aus mein neues
Tusculum zu kommen."
„Nettes Tusculum," brummte der Alte.
„Sieh, Onkel, ich bin romantisch veranlagt."
„Das Neueste, was ich höre. Vis jetzt wenigstens habe
ich davon nichts bemerkt."
„Das glaube ich. Ich wollte auch erst zu etwas
kommen, bevor ich Dir diese Schwäche offenbarte. Jetzt
bin ich so weit und gedenke hier nach vollbrachtem Tage-
werk, fern von den Akten des Gerichtes, mir nenc Lebens-
kraft in der stillen Natur zu holen. Vor allem, lieber
Onkel, versuchen wir, ob jene morsche Bank unter der
Buche uns noch tragen kann. Du wirst müde sein."
„Wenn wir mit dem alten Gestell zusammenbrechcn,
zahlst Du die Kurkostcn."
„Gern, lieber Onkel. Aber Du siehst, die Bank hält.
Nun höre also. Du weißt, ich habe als Richter das
Departement der Erbschaftsangelegenheiten unter mir.
Vor drei Wochen nahm ich ein altes Aktenstück in die
Hand, welches nach dem Terminkalender am 2. Mai dieses
Jahres dem betreffenden Richter vorzulegen war. Ich
blätterte in dem Dokument und fand darin ein vergilbtes,
vom Notar ordnungsmäßig abgesaßteS Papier. Darauf
stand:
„.Ich, Pietro di Eastallare, Besitzer des Landhauses,
Hypothekenbuch XIV., Folio 1482, bestimme hiermit, daß
benanntes Landhaus nach meinem Tode verschlossen wird
und zwanzig Jahre unbewohnt bleibt bis zu meinem Todes-
tage. Dann soll der Bürgermeister der Stadt dasselbe
freihändig verkaufen und die Kaufsumme der Armenkasse
überweisen. Erben, welche Anspruch an mich haben könnten,
sind nicht vorhanden, und ich habe, laut beigefügten nota-
riellen Beglaubigungen, das freie Recht, über dieses mein
Besitztum zu verfügen. Helmenbcrg, den 19. Februar 1864.'
„Unter diesem Schriftstück stand in lakonischer Kürze:
„.Herr Pietro di Eastallare ist am 3. Mai 1864 mit
einem Stilet in der Brust tot im Walde, nahe dem Land-
hause, aufgefunden worden. Die gerichtliche Untersuchung
stellte Selbstmord fest. Nach Erklärung des Physikus
ist der Tod am 2. Mai 1864 erfolgt, mithin ist dieses
Aktenstück dem Richter am 2. Mai 1884 zu produzircn
und das Nötige zu veranlassen. Helmenbcrg, den 4. Mai
1864. Hustcr, königlicher Notar.'
„Die Sache war interessant, romantisch. Ich las das
ganze Aktenstück. Daraus ging hervor, daß Eastallare
zwei Jahre vor seinem Tode dieses Grundstück gekauft
und mit seiner jungen Frau Elvira — nach den Akten ist
sic dreiundzwanzig Jahre alt gewesen — dasselbe in sehr
guten Verhältnissen bewohnt habe. Am 2. Mai 1863,
also gerade ein Jahr vor dem Selbstmord, ist die Frau
593
Haar aus der Stirne und jagte: „Ich? Nichts. Ich möchte
Dich nur einmal heiraten."
„Tu — mich?" lachte die hübsche Dolorida. „Sieh Dich
nur an!"
Manfreds sah sich erstaunt an, von den nackten braunen
Füßen bis unter die Nase. Weiter hinauf konnte er nicht sehen.
Er sah feine schuhlosen Füße, seine kotige, geflickte Hose und seine
fleckige Bluse. Da ward cr ganz kleinmütig und seuszte. Aber
Dolorida streichelte ihn und nahm aus ihrer Tasche Zuckerzeug
(ihre Mutter, die reiche Kassirerin, lebte wie eine vornehme Dame)
und sic setzten sich auf den Wiesenrain, und Dolorida steckte dem
Lebkuchen Süßigkeiten in den Hals und sagte: „Siehst Du.
Lebkuchen-Manfredo, ich möchte Dich ja gern heiraten, wenn die
Zeit kommt: aber Du bist nichts, kannst nichts, weißt nichts.
Und meine Mutter will mich nur einem „Künstler" geben und
hat mich für den blonden Rosina bestimmt, der so schön Teller
drehen und brennendes Werg schlucken kann!" Sie sagte das so
traurig, daß Lebkuchen sie tröstete, dann fing er aber selber
zu weinen an, so daß sie ihn wieder streicheln mußte, und dann
aßen sie unter Thränen ihr Zuckerzeug und gingen heim.
Es war dies eine schöne Sommernacht, und da Zio Mario
in dein Städtchen in einem Wirtshause Kartenkünste machte und
seine Frau ohne Unterleib sich produzirte, waren nur der alte
Ruffo und die Bären, die mit den Hunden im Freien kampirten,
während die Hyänen und die Schlange in den Käfigen schliefen,
hier, um den Wohnungswagen zu bewachen.
Der alte Ruffo hatte sich ins kühle Gras gelegt und schlief:
fein Sohn Lebkuchen lag neben ihm, die Hunde um sie herum.
Im Wohnungswagen kochte das Nachtmahl, und Weizenkorn-
Rosina, der es zu beaussichtigcn hatte, spielte auf der Hinteren
Galerie des Wagens mit einer Schnur, an welche ein Stück Speck
gebunden war, und neckte damit die Hunde. Es war eine stille,
dunkle, herbstliche Nacht.
Aus dem Rauche, welcher dem Kamine entströmte, flogen
lustige Funken in den Wind, denen Lebkuchen-Manfredo zufchaute.
Plötzlich sah er, daß einer der Funken in der Strohdecke des
Wagens zu glimmen begann und die geflochtene Strohdecke ent-
zündete, welche auf dem Wagen lag.
„Das ist gut," jagte der Knabe. „Jetzt verbrennt der
Wagen und Weizenkorn auch mit, und er wirb Dolorida nicht
mehr heiraten können." Und laut rief cr Weizenkorn-Rosina
zu: „Ich wette, Du wirst Dolorida nicht heiraten, wenn Du
groß bist!"
„Ich werde sie heiraten!" höhnte Weizenkorn-Rosina herüber.
Manfreds lachte und schaute. Aber wie das Geflecht wirklich
zu brennen begann, schrie er wie närrisch: „Weizenkorn, rette
Dich!" — und riß seinen Vater aus dem Schlafe und zeigte ihm,
wie die Bären ängstlich am Wagen emporsprangen, als wollten
sie helfen, und der alte Ruffo sprang auf und lief nach Wasser
und löschte das Glimmen.
Als die Gefahr vorbei war, stürzte aber Weizenkorn-Nosina
auf Lebkuchen-Manfredo und sing an, ihn mit den Fäusten zu
bearbeiten. Manfreds gab ihm einen Hieb ins Gesicht und rief:
„Warum schlägst Du mich?"
„Weil Lu mich nur gerettet hast, um Dich vor Dolorida
schön zu machen!" schrie Weizenkorn-Rosina. Und sie prügelten
sich so lange, bis der Alte einen Bären zwischen sie schickte. Aber
Weizenkorn wurde aus Schrecken krank und Dolorida pflegte ihn
so mitleidig, daß der Blonde sich ein Herz nahm und sie fragte,
ob sie ihn heiraten wolle, wenn die Zeit gekommen s.i.
Ta wandte sie sich jedoch stolz um und jagte scharf: „Ich
werde niemals einen .TellerLreher' heiraten!"
II.
Tann kam die Zeit, daß beide Jungen zum Militär mußten.
Als sie niit den anderen Rekruten zur Stadt zogen, ging Weizen-
korn in der ersten Reihe, ganz ausstaffirt von der reichen
Kassirerin, welche in ihm schon den künftigen Gatten ihrer
hübschen Dolorida sah. Er trug eine neue Bluse, seine Augen
waren vom Weinen so rot wie die eines Kaninchens und von
seinem großen Hute flatterten acht Ellen rote Bänder.
Der arme Lebkuchen ging in der letzten Reihe in seinem
schäbigen Anzuge und in seiner zerlumpten Mütze. Aber auf
dem Wege wußte er sich loszumachen, da er Dolorida hinter
einem Weidenbaume weinen sah, lief auf sie zu und bekam zwei
zärtliche Küste, eine Menge Zuckerzeug und eine Börse mit ihren
Ersparnissen mit auf den Weg.
Sie kamen beide zu verschiedenen Regimentern. Ter eine
nach Neapel hinunter, der andere nach Rom hinauf. Weizen-
korn, welcher lesen und schreiben konnte und fleißig und ordent-
lich im Dienste war, brachte es bis zum Korporal. Lebkuchen
war ein tapferer Soldat, konnte sich aber nie in die Disziplin
fügen, kam aus einer Strafe in die andere und blieb Gemeiner.
Nach einigen Jahren geschah es, daß die beiden Regimenter in
eines verschmolzen wurden, und die jungen Männer sahen ein-
ander wieder. Als sie sich zum erstenmal im Kasernenhof fanden,
sielen sie einander uni den Hals, gingen miteinander in eine
Osteria und wurden in der Nacht arretirt, da sie sich jämmer-
lich zerbläut hatten.
Als sie wieder frei wurden, benützten sie den ersten Ausgang
und gingen spazieren. Auf einer Brücke blieben sie stehen und
Weizcnkorn sagte zu Lebkuchen:
„Ich wette, daß Du es nicht wagen würdest, mich in den
Fluß zu werfen."
„Warum nicht?" fragte Manfreds.
„Weil ich Dein Korporal bin."
Sogleich faßte Manfreds seinen alten Feind Rosina am
Kragen und an den Beinen und derselbe flog kopfüber in das
Wasser.
Rosina war ein schlechter Schwimmer, plätscherte eine Weile,
schnappte nach Luft und sank.
„Ist das ein dummer Kerl!" lachte Manfrede, der ihm zu-
schaute. „Jetzt ertrinkt er und wird Dolorida nicht heiraten."
Aber als Rosina nicht wieder erschien, sprang Manfreds ins
Wasser, tauchte unter und brachte ihn an einem Büschel seiner
blonden Haare wieder ans Land. Sobald Rosina wieder Lüft
schnappen konnte, stürzte er sich auf seinen alten Feind und bläute
ihn durch. Als Manfreds sich über diesen Undank klar wurde,
llab er dem blonden Rosina einen solchen Faustjchlag über die
Nase, daß dieselbe von der Stunde an krumm blieb.
Als endlich die Zeit gekommen war, wo die beiden Feinde
das Militär verließen, kehrten sie nach Hause zurück. Zu Zio
Mario, Ruffo, der dicken reichen Kassirerin mit den Thalern
in den Strümpfen, den Bären, Hyänen, Schakalen, Papageien
und der Schlange, welche noch immer regungslos in der Wolle lag.
Sie wurden von allen (die Schlange ausgenommen) mit
Heller Freude empfangen und verbrachten einen glücklichen
Abend miteinander. Am andern Tage aber ging cs von neuem los.
Die dicke Kassirerin nahm ihren Liebling, den blondhaarigen,
sanften Künstler Rosina, beiseite, hatte eine lange Unterredung
mit ihm, führte ihn dann zu ihrer Tochter Dolorida und sagte:
„Dolorida, Rosina, dieser brave Soldat, welcher es bis zum
Korporal gebracht hat, ist zurllckgckommcn. Er ist ein echter
Künstler geblieben, ich Habs ihn unter vier Augen geprüft: er
kann Teller drehen wie Mr. James, auf den Händen gehen wie
Signor Fricco und Purzelbäume in der Luft machen wie ein
Gott. Er ist Dir treu geblieben und will Dich heiraten. Ich
gebe euch meinen Segen und meine Strümpfe — ich will sagen
Thaler. Nehmt euch!"
Da lichtete sich aber die kleine, stille, dunkeläugige Dolorida
auf und sagte: „Es thut mir leid, Mama, aber ich kann Signor
Rosina nicht heiraten."
„Und warum nicht?" fragte die dicke Kassirerin, vor Zorn
eine Stellung einnehmend wie ein gereizter Stier in der Arena.
„Weil ich gestern abend meinem Manfreds das Jawort ge-
geben habe. Er ist mir auch treu geblieben."
„Aber er ist nicht Korporal geworden!" rief Rosina.
„Aber cr kann nicht einmal auf dem Kopse stehen!" rief
die Kassirerin.
„Er kann nichts, als die Bären füttern!" knirschte Rosina.
„Er ist keine Künstlernatur!" drohte die Kassirerin.
„Er ist so braun wie eine geröstete Kastanie!" wütete Rosina.
„Aber ich liebe ihn!" entgegnete das hübsche Mädchen einfach.
Dagegen ließ sich nichts sagen. Doch rief die Kassirerin, noch
grün vor Zorn: „Ich gebe euch keinen Strümps!"
„Das thut mir leid," sagte Dolorida trotzig. „Aber ich will
lieber ohne Deine Strümpfe Lurchs Leben gehen, Mama, als
mit dem Signor da — auf dem Kopfe stehen."
Die kleine Dolorida war ein entschlossenes Mädchen, und
man wußte, daß sie that, was sie wollte. So wurde sie die
Braut des schwarzhaarigen, braungesichtigen, schönen Manfreds.
Aber der blondhaarige Rosina schwur seinem alten Feinde
Rache.
Er besaß ein Mittel, um die Bären „betrunken" zu machen.
Er hatte es von einem alten Fütterer erhalten, der den jungen
Burschen lieb gehabt, und das niemand kannte. Wenn ein Bär
dieses Mittel im Futter bekommen, wurde er wie betäubt —
berauscht wie ein Mensch. Er blieb dann faul und träge. Nur
wenn man ihn in einem solchen Zustande reizte, wurde er wütend
und zerriß jeden, der ihm in die Nähe kam.
Am Abende war große Vorstellung in der Stadt in der
Lombardei, in welcher sic eben weilten. Ehe man das Publikum
zulieb, wurde den Tieren „Toilette gemacht", wie es in der
Bagabundensprache heißt, das heißt die Käfige wurden gereinigt,
den wilden Tieren wurden Befänftigungsmittel eingegeben und
so weiter, die Schlange in der Wolle wurde erwärmt.
Ta ging auch Rosina an den Bärenkäfig und ließ die beiden
größten Tiere heraus, um den Käfig zu reinigen. Dem großen
sibirischen Bären — einem entsetzlichen Tiere mit riesenhaften
Gliedern — streichelte er das zottige Haupt und gab ihm einen
jener Kuchen in den Nachen, welche man in der Compagnia
Mario eigens für die Bären zu backen pflegte. Er hatte diesen
Kuchen aus der eigenen Tasche gezogen; denn es war ein von
ihm besonders bereiteter Kuchen, welcher von dem schrecklichen
Mittel „Ebrio" getränkt war. Der Sibirier verschlang denselben
auf einen Schluck.
Nachdem die Käfige gereinigt, begann die Vorstellung.
Während der alte, dicke Mario draußen die beiden kleinen ge-
lehrten Pferde ihre Künste machen ließ, wurde der große Bären-
käfig langsam hinausgeschoben.
„Ich wette," sagte Rosina zu seinem Nebenbuhler und
„Jugendfeinde", „daß Du heute nicht in den Käfig des sibirischen
Kerls gehen und die Produktion mit den Pistolen und Reisen
machen möchtest!" Er war sehr blaß, wie er das sagte, und
seine Augen hatten einen seltsamen fahlen Glanz.
„Ich wette, ich thu's dennoch!" sagte Manfreds. Und als
der Wagen draußen war, ergriff er die Reisen, die Pistole, die
Peitschen und sprang in den Käfig des Sibiriers, welcher faul
und wie bewußtlos, einem Trunkenen gleich, in der Ecke lag.
Nur hatte derselbe die Augen nicht ganz geschlossen, sondern
schielte mit rotschimmernden Blicken zwischen den Lidern vor.
Mansredo fing an, ihn niit dem Eisen und der Peitsche auf-
zustacheln, damit er seine Künste mache. Als er noch immer
regungslos liegen blieb, gab er ihm einen Fußtritt, denn er
hatte nicht gemerkt, wie der Blick des Tieres immer glühender
wurde. Jetzt richtete sich dasselbe in seiner ganzen Größe zitternd
und drohend auf und die Augen sprühten Flammen und ein
tiefes Röcheln tönte aus seiner Brust.
Da erscholl ein gellender, heiserer Schrei. Es war Rosina,
der ihn ausstieß. Er stürzte mit einem Satze auf den Bären-
käfig zu, riß die Thüre aus, sprang hinein, faßte mit über-
menschlicher Gewalt seinen Nebenbuhler, den, welchen er hatte
verderben wollen, und warf ihn aus dem Käfig. Er selber hatte
nicht mehr Zeit, ihm zu folgen, denn der Bär hatte sich in
einem Wutausbruche auf ihn gestürzt, ihn mit den riesigen
Pranken zu Boden geschlagen und zerfleischte den armen Rosina
mit Zahn und Klauen, daß bald nur noch eine unkenntliche
Maste übrig war.
Es sind viele Jahre seitdem vergangen. Manfreds und
Dolorida sind ein glückliches Paar geworden. Sie haben die
Menagerie längst aufgegeben und haben mit den Strümpfen
der dicken Kassirerin ein großes Cafe in Genf in Besitz, welches
den seltsamen Titel führt: „Zum Weizcnkorn". Pastille.
Zur Rosenzeit.
(Bild S. SS?.)
nr Rosenzeit, am Gartcnzaun,
Da fliistert's hin und her;
Die Knospen wollten viel wissen schon,
Die Blumen noch weit mehr.
Zur Rosenzeit, am Gartenzaun,
Ein Nenschenknösplcin stand
Und hielt, sie wußte wohl auch schon 'was,
Lin Zweiglein in der Hand.
Zur Rosenzeit, ain Gartcnzaun,
Lin Stimmlein zagend spricht:
Ihr seid so schön und ihr welkt so bald —
So thut doch Liebe nicht?
Nach zwanzig Jahren.
Erzählung
von
I ß. I. «Lievctrcu.
(Alle Rechte Vorbehalten.)
Ifl^^age, mein Junge, wie bist Du gerade auf den Gc-
danken gekommen, dieses von der Stadt doch
ziemlich weit abgelegene Landhaus zu kaufen!
Zwanzig Jahre steht cS unbewohnt, nur Spinnen
und Mäuse Hausen darin. Die alte Wetterfahne auf dem
Dache ist schon ganz heiser vor Altersschwäche, und wenn
nicht der üppige Epheu hier auf der Gartenseite die Wände
mitleidig bedeckte, ich glaube, das Ganze erschiene wie eine
Ruine aus alten Zeiten! Nun, gar hier erst im Garten!
Alle Wege von Unkraut überwuchert, das Unterholz un-
durchdringlich, und die Meisen und Zeisige auf den Bäumen
schauen uns an, als wollten sic fragen: .Was wollt ihr
denn eigentlich hier?' Sage, mein Junge, wie bist Du
auf diesen absonderlichen Gedanken, gekommen?"
So sprach ein alter, freundlich blickender Herr zu einem
jüngeren Manne, aus dessen geistreichem, bartumrahmtem
Gesicht sich ein leichtes Lächeln ob der langen Rede dcS
andern hervorwagte.
„Gerade um Dir die Gründe zu erzählen, lieber Onkel,
habe ich Dich gebeten, hieher mit mir aus mein neues
Tusculum zu kommen."
„Nettes Tusculum," brummte der Alte.
„Sieh, Onkel, ich bin romantisch veranlagt."
„Das Neueste, was ich höre. Vis jetzt wenigstens habe
ich davon nichts bemerkt."
„Das glaube ich. Ich wollte auch erst zu etwas
kommen, bevor ich Dir diese Schwäche offenbarte. Jetzt
bin ich so weit und gedenke hier nach vollbrachtem Tage-
werk, fern von den Akten des Gerichtes, mir nenc Lebens-
kraft in der stillen Natur zu holen. Vor allem, lieber
Onkel, versuchen wir, ob jene morsche Bank unter der
Buche uns noch tragen kann. Du wirst müde sein."
„Wenn wir mit dem alten Gestell zusammenbrechcn,
zahlst Du die Kurkostcn."
„Gern, lieber Onkel. Aber Du siehst, die Bank hält.
Nun höre also. Du weißt, ich habe als Richter das
Departement der Erbschaftsangelegenheiten unter mir.
Vor drei Wochen nahm ich ein altes Aktenstück in die
Hand, welches nach dem Terminkalender am 2. Mai dieses
Jahres dem betreffenden Richter vorzulegen war. Ich
blätterte in dem Dokument und fand darin ein vergilbtes,
vom Notar ordnungsmäßig abgesaßteS Papier. Darauf
stand:
„.Ich, Pietro di Eastallare, Besitzer des Landhauses,
Hypothekenbuch XIV., Folio 1482, bestimme hiermit, daß
benanntes Landhaus nach meinem Tode verschlossen wird
und zwanzig Jahre unbewohnt bleibt bis zu meinem Todes-
tage. Dann soll der Bürgermeister der Stadt dasselbe
freihändig verkaufen und die Kaufsumme der Armenkasse
überweisen. Erben, welche Anspruch an mich haben könnten,
sind nicht vorhanden, und ich habe, laut beigefügten nota-
riellen Beglaubigungen, das freie Recht, über dieses mein
Besitztum zu verfügen. Helmenbcrg, den 19. Februar 1864.'
„Unter diesem Schriftstück stand in lakonischer Kürze:
„.Herr Pietro di Eastallare ist am 3. Mai 1864 mit
einem Stilet in der Brust tot im Walde, nahe dem Land-
hause, aufgefunden worden. Die gerichtliche Untersuchung
stellte Selbstmord fest. Nach Erklärung des Physikus
ist der Tod am 2. Mai 1864 erfolgt, mithin ist dieses
Aktenstück dem Richter am 2. Mai 1884 zu produzircn
und das Nötige zu veranlassen. Helmenbcrg, den 4. Mai
1864. Hustcr, königlicher Notar.'
„Die Sache war interessant, romantisch. Ich las das
ganze Aktenstück. Daraus ging hervor, daß Eastallare
zwei Jahre vor seinem Tode dieses Grundstück gekauft
und mit seiner jungen Frau Elvira — nach den Akten ist
sic dreiundzwanzig Jahre alt gewesen — dasselbe in sehr
guten Verhältnissen bewohnt habe. Am 2. Mai 1863,
also gerade ein Jahr vor dem Selbstmord, ist die Frau