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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 8.1922

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VIII. 1
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Furrer, Albert: Tagphantasie eines sechseinhalbjährigen Mädchens
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https://doi.org/10.11588/diglit.28550#0102

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Albert Furrer

wird uns teilweise Mar aus der Tagphantasie seihst. Es ist die Rache dafür,
daß Heidi einmal nicht geduldet wird als Zuschauer heim elterlichen Sexuale
verkehr, dann dafür, daß der Vater die Gunst dieses Verkehrs nur der
Mutter, niAt auch ihr (Heidi) zuteil werden läßt. Die Rache gilt natürlich
auch der Mutter,- denn durch die Kastration des Vaters wird die Mutter
mithetroffen. Dem Kastrationswunsch liegt wohl noch ein anderes Motiv
zugrunde, das zwar in der Tagphantasie auch angedeutet ist, aber doch
nicht gut allein daraus abgeleitet werden kann. Wir haben oben feststelleh
können, daß Heidi darunter leidet, daß sie ein Mädchen ist. Ich kann noch
beifügen, daß Heidi gerade zu jener Zeit, da sie ihr Märchen produzierte,
mehrmals der Mutter gegenüber den WunsA äußerte, einmal das Genitale
des Vaters zu sehen*. Es wäre nun leicht denkbar, daß Heidi gegen den
Vater mit dem Kastrationswunsch reagierte, als jener ihrem WunsA niAt
entspreAen wollte.
Wir sehen also, daß die vorher unverständliAe SAlußszene, genau
betraAtet, eigentliA nur eine verdeutliAte und erfolgreiAere Wiederholung
der vorangegangenen Handlung (VerniAtung der »SAlangen <s) ist. Wir
sind jetzt auA niAt mehr verwundert, daß der »böse BursAec als Dieb
gesAildert wurde. Er hat ja in der Tat dem Vater etwas weggenommen.
Wir merken jetzt auA, warum der mißhandelte Vater bei seiner Heim-
kunft mit dem grotesk wirkenden Ausruf »Gottfried Stutzt empfangen
wird. Einmal ist der Vater ja gar niAt willkommen, ebensowenig wie der
»Götti c eingeladen war. Dazu ist das Wort »Gottfried Stutze in diesem
Zusammenhang ein AusdruA der Genugtuung, der SAadenfreude. Der
KastrationswunsA ist eben am Vater in Erfüllung gegangen. Wie tieD
gehend und intensiv die RaAephantasie bei Heidi wirkte, sehen wir am
besten daraus, daß dieselbe in den TodeswunsA ausgeht, der auf den
Vater geriAtet ist: =>Die Mutter und das Kind beteten, daß der Vater
sterben könne, damit er nicht mehr leiden müssen Wir haben Anlaß,
der letzteren Begründung zu mißtrauen und den aus der RaAeabsiAt ge-
borenen TodeswunsA ernst zu nehmen. Der tröstliAe SAlußkommentar:
»Weißt du, Vater, das ist nur ein MärAen<s — ist in dieser HinsiAt
bezeiAnend. Gewiß wird der TodeswunsA noA andere Quellen haben/
aber diese aufzude&en, würde über den Rahmen unseres Aufsatzes
hinausführen.
Zum SAluß noA eine Bemerkung: IA weiß, daß meine Deutung
unter dem Mangel leidet, daß sie siA gerade in ein paar wesentliAen
* Ängstliche Gemüter werden si& wohl darüber entsetzen, daß ein seAs-
einhalbjähriges Mädchen es wagt, einen solchen Wunsch auszusprechen. IA giaube
aber, daß alle normal veranlagten Kinder, welAe von klein auf in jeder HinsiAt
zur Offenheit angehalten wurden, und denen die Erzieher mit AufriAtigkeit und
ohne Geheimtuerei begegnen, in diesem Alter gelegentHAentspreAendeWünsAe
unbefangen ausspreAen werden.
 
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