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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 20.1909

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Wetzel, Ines: Über Wohnen und Wohnlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0060

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INN EN-DEKORATION

PROFESSOR G. WTCKOP — DARMSTADT.

Kinder-Schlafzimmer mit Schlaf räum des Kintlerfräuleins.

Wohnbehagens eines Hauses. Die mit ihm behaf-
teten Frauen quälen sich und ihre Umgebung grundlos
und systematisch. Ich kenne Interimseßzimmer um
das »gute« Eßzimmer zu schonen, Interimswohnzimmer
zu demselben Zweck und sogar Interimsküchen, damit
die »gute« Küche nicht schmutzig wird! Wo bleibt
da eine Möglichkeit für Behagen und Familienleben?
Mann und Kinder sind beengt und behindert in allem
und jedem, vor allem die Kinder werden um ihrer
Lebendigkeit willen aus den Wohnräumen ängstlich fern-
gehalten und in ihr meist beschränktes Kinderzimmer
verbannt. Sie bleiben ohne Eindruck des Wohnlichen
im Elternhaus und manche frühe Entfremdung hat hier
ihre Ursache. Daß in solchen Häusern an die Arbeits-
leistung des Dienstpersonals oft ganz ungerechtfertigte
und übertriebene Anforderungen gestellt werden, sei
nebenbei bemerkt. Nicht nur das Familienleben, auch
unsere Geselligkeit leidet oft unter der eigenartigen
Auflassung von Behagen und Wohlfühlen. Zunächst
möchte ich des englischen live o'clock-tea Erwähnung tun,
welchen wir Deutsche mit fast kindlichem Nachahmungs-
trieb übernommen haben. Wer etwas auf sich und
sein Haus hält, läßt heute seinem Besucher von mehr
oder weniger geschultem Personal die Hände mit Tee-
tasse, Kuchen, Teller und Besteck vollstopfen, sodaß
der Unglückliche eine höchst unbehagliche Viertelstunde
damit verbringt alle diese Gegenstände zu jonglieren und
dabei zu essen, zu trinken und Konversation zu machen,
ohne etwas dabei zu Boden fallen zu lassen. Man nennt
das dann »gemütlich zum Tee kommen«. Warum immer
fremde Sitten annehmen, wo unser heimischer Brauch
soviel sinnvoller und schöner ist? Ein gut gedeckter
Tisch, welcher Raum und Übersicht bietet, gibt in den

meisten Fällen doch wohl eher Gelegenheit komfortable
Lebensart zu zeigen als jene für uns Deutsche einmal
ungewohnte Form der Nachmittagsbewirtung Eine gleich
unverständliche Art der Gastlichkeit ist ebenfalls stark
verbreitet, bei welcher ebenso Absicht und Wirkung im
Gegensatz stehen. Es sind dies die Feste in ausge-
räumten Häusern. Kann ich wirklich meinen Gästen
Wohlbehagen in meinem Hause bereiten, wenn
ich dieses Haus eben der Gäste wegen erst ausräume
und derbe Leihstuhle an die nackten Wände stelle?
Wohl findet dieser Brauch eine scheinbare Be-
gründung in der Beschränktheit des Raumes bei großer
Gästezahl. Der Einwand kennzeichnet zugleich die
Ursache des Übels. Man lade eben nicht soviel
Menschen auf einmal ein, wenigstens nicht mehr als
die normal eingerichteten Räume bequem fassen. Es
zeugt nicht von einer sehr feinsinnigen Auffassung ge-
selliger Freuden, wenn man ohne Rücksicht auf das
Behagen der Geladenen, das Haus seines wohnlichen
Eindrucks beraubt und es dafür mit Menschen voll-
pfropft. Hier besteht zwischen Wohnlichkeit und Gast-
lichkeit keineswegs der natürliche Zusammenhang mehr.

Wenn an dieser Stelle in dem Vorangegangenen
in etwas breiter Ausführlichkeit auf Mißstände und falsche
Begriffe in unsrer äußeren Lebensführung hingewiesen
wird, so heißt das heute gewiß Eulen nach Athen tragen;
denn namhafte Könner sind eifrig am Werk um durch
Wort und Tat zu klären und zu reformieren. Trotzdem
ist für alle die Gedanken in den breiten Massen noch
wenig Verständnis zu finden. Tagtäglich und überall
begegnet man den oben charakterisierten Wohnbräuchen
und Typen, namentlich in den einfacheren Bürgerkreisen
noch immer. Deshalb auch hier wieder ein Klärungs-
 
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