Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 20.1909

DOI article:
Utitz, Emil: Material, Form, Farbe in der Wohnungskunst
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0073

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
INN EN-DEKORATION

57

ENTW.: PROF. R1EMERSCHMID MÜNCHEN. AUS!'.:
DEUTSCHE WERKSTÄTTEN F. HANDWERKSKUNST.

Schlaf • Zimmer mit großem Schrank.
Jiettdecke mit einfacher Kurbel-Stickerei.

Farbe freien Spielraum lassen. Mag man schon einen
gewissen Spielraum zugestehen, so muß er jedenfalls
bestimmt abgegrenzt werden, um nicht zu einem Tummel-
platz auszuarten für jegliche Willkür. Durch sie muß
der ästhetische Eindruck ein charakterloser werden,
charakterlos deswegen, weil ihm die innere Notwendig-
keit mangelt, weil Form, Material und Farbe nicht zur
entsprechenden Ausprägung gelangen, die sie zu einer
organischen Finheit zusammenfaßt, sondern eine Ver-
bindung eingehen, die für alle drei mehr oder minder
unglücklich verläuft, weil sie auf Willkür sich gründet.

Zwei Beispiele mögen zur Verdeutlichung des Ge-
sagten dienen: ist z. B. ein fnnenraum auf dunkle Farben
abgestimmt, entsteht ein ernster, vielleicht feierlicher
Findruck. Der kann nun durch allerlei Schmuck ge-
mildert werden: Massengliederung, Flächenbehandlung,
Linienführung usw. So ergibt sich eine ernste Stim-
mung, über die hin ein silbernes Lächeln huscht. Nun
nehme man aber dem Raum seinen Ernst der dunkeln
Farbe und führe helle, fröhliche Töne ein. Ändert
man jedoch dabei nicht die Gesamtanlage, so kann
das, was uns früher als Lächeln erschien, als getragene
Heiterkeit auf ernster Grundlage, da jetzt diese fehlt,
umschlagen in eine brutale Lustigkeit, die unruhig wirkt,
alle Stimmung zerreißt und so dem Raum seines ihm
eigenen Charakters beraubt und ihm einen fremden

aufdrängt, der seinem Wesen völlig fernsteht. Und nun
das zweite Beispiel: ein Raum empfange seine Charak-
teristik durch die Qualität des Materials. Beraubt man
ihn nun dieser, wird der Raum kalt, weil die — in
diesem Falle — Hauptquelle ästhetischer Wirkung weg-
fällt. Sprach er früher zu unseren fühlenden Sinnen,
ist nun seine Sprache verstummt; er langweilt, wie ein
Mensch, dem jede Eigenart versagt ist. Gewisse prak-
tische Zwecke kann ja so ein Mensch doch auch leisten,
aber erfreulich wirkt er ganz sicherlich nicht. Gleiches
gilt von der Raumkunst, und nicht nur von ihr,
sondern ganz im allgemeinen von aller Kunst!

So sehen wir denn in den allgemeinen Typen-
vorlagen — mögen sie auch an sich gut sein —
eine grobe Kulturlosigkeit, wenn Farbe »auf Wunsch«
und Material »ganz nach Belieben« der Willkür
des Händlers oder des Käufers überantwortet werden.
Gerade in kleineren Städten entstehen so schreck-
liche Verwüstungen, die oft eines grotesken Zuges
nicht entbehren. Gegen die Bedeutung von Typen-
vorlagen sei nichts eingewendet. Sie sind in ge-
wissem Sinn unentbehrlich, aber sie dürfen nicht nur
Formmuster sein, sondern müssen auch Material und
Farbe in bestimmten Grenzen binden, weil eben diese
drei Momente auf das innigste zusammenhängen. Und
stört man diesen Organismus, entsteht niemals eine

1909. II. 2.
 
Annotationen