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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 20.1909

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Westheim, Paul: Das Vorlagen-Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0096

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INNEN-DEKORATION

ENTWURF: ARCHITEKT MATHIAS KELLER. AUS-
FÜHRUNG: HOF-MÖBELFABRIK BALLIN MÜNCHEN.

Schlaf• Zimmer in weiß lackiertem Holz
Spiegel in versilbertem Metallrahmen.

will. Man muß mit der Tatsache kühl rechnen und
einmal ernstlich erwägen, welchen Wert hat das Vor-
lagenwerk und welchen könnte es haben.

Heute ist es nur eine bequeme Fundgrube zum
»Ausschlachten«. Eine Reihe Tafeln mit Beispielen
aus einem bestimmten Gebiet sind aneinander gereiht.
Die Vorbilder sind — es kommt das immer auf den
Herausgeber an — mitunter nicht einmal schlecht.
Nehmen wir einmal stillschweigend an das denkbar
Beste wäre geboten; wie ist aber die Benutzung? Der
Zeichner findet irgend ein Motiv, das für seine Zwecke
vielleicht geeignet wäre. Das wird nun variiert, in
kleinen Nuancen abgewandelt, kleine Äußerlichkeiten
übernommen und mit mehr diplomatischer als künstleri-
scher Gewandtheit etwas Neues herausdestilliert. Der
Witz der ganzen Sache besteht darin die Vorlage zu
übertragen und zugleich auch wieder die Vor-
lage zu umgehen. Sie soll der neuen Sache die
Form verleihen und doch nicht daraus erkannt werden.
Bildnerische Jongleurkünste! Das Ergebnis ist ein
Verkennen und Verlernen alles organischen Gestaltens,
eine Überschätzung kleiner und kleinster Äußerlich-
keiten, ein Spielen, Variieren, Ummodeln gegebener
Formeln, eine Geschicklichkeit, der jeder innere Halt
fehlt und die sich womöglich noch mit ihrer Ghamäleon-
natur brüstet. Lediglich auf Fassadenwirkungen wird
losgearbeitet und es entstehen im besten Falle jene
gefälligen Sächelchen, jene Scheinqualität, der das minder
gebildete Auge des Publikums fast immer erliegt. Die

Gefahr für den Erzeuger ist aber weit größer. Die
kleine Dosis selbständiger Erfindungsgabe und schöpfe-
rischer Fähigkeit muß mit der stärkeren Benutzung der
— so bequemen — Vorlagenwerke verkümmern. Die
Erleichterung für Auge und Hand ist zu groß, so daß
diese Organe allmählich die unbedingt notwendige
Spannkraft verlieren. Die Abhängigkeit von dem Vor-
lagenwerk oder der vorgearbeiteten Gestaltung wird
immer größer. Ohne Vorlage wird der Zeichner hilf-
los. Und damit versiegt endlich das eigene — wenn
auch stümperhafte Schaffen. Statt die ursprüng-
lichen Kräfte zu bilden und vorhandene Fähig-
keiten zu entwickeln, ist lediglich ein äußer-
liches Nachahmen gefördert worden.

Kann das der Zweck der Vorlagenwerke sein?
Gewiß nicht. Die Absichten der Herausgeber sind
oft recht achtbare. Dem Ausführenden sollen die vor-
züglichsten Leistungen seines Faches in bequemer Weise
zugänglich gemacht werden. Das Beste und Hervor-
ragendste wird ihm in die Hand gegeben, damit er
selbst die Kläglichkeit seiner eigenen Arbeiten einsehen
lernt, damit er das Niveau seiner Gestaltungen aufzu-
höhen beginnt. Das schöne Vorbild soll ihn unzufrieden
machen mit seinem schlechten Erzeugnis und in ihm
den Willen erwecken zum ernsten, gediegenen, sachlichen
Gestalten. Man will ihn trotz seiner zahlreichen Auf-
träge, trotz seiner festen Anstellung — zum Weiterlernen
verleiten oder gar zwingen. Durch die Vorführung von
Meisterschöpfungen soll er veranlaßt werden, mit dem
 
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