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Widmer, Karl: Über den Wert der Originalität
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0150
128
INNEN-DEKORATION
erkannten, in der Minder-
zahl. — Inzwischen ist aber
die moderne Bewegung in
eine Krisis eingetreten.
Der revolutionäre Geist
ihrer ersten Entwicklungs-
epoche hat sich beruhigt.
Das Einfache, Natürliche,
Selbstverständliche, das sich
aus den realen Bedingungen
des Gebrauchs, des Mate-
rials und der Konstruktion
ergibt, siegt mehr und mehr
über das Phantastisch-Will-
kürliche. Auf die roman-
tische Epoche der moder-
nen Kunst folgt eine
rationalistische. Was sich
schon auf der Dresdner Aus-
stellung von 1907 angekün-
det hatte, ist auf den Aus-
stellungen des Jahres 1908
Tatsache geworden. Nicht
mehr die Originalität ist
Trumpf, sondern der Ge-
schmack. Die überquel-
lende Fruchtbarkeit an
neuen Gedanken, welche
die moderne Bewegung in
ihren ersten Jahren ausge-
zeichnet hatte, hat aufge-
LUDW. HOFFMANN BERLIN. HALLE U. VORHALLE IM ERDGESCHOSS.
hört. Wir dürfen in den
nächsten Jahrzehnten nach
menschlichem Ermessen
von ihr wohl kaum mehr
neue Offenbarungen von
überraschender Schlagkraft
erwarten. — Vielen mag
das nun freilich als ein
Zeichen des Stillstandes
erscheinen, das den Anfang
vom Ende bedeutet. Wer
aber Ziel und Sinn der mo-
dernen Bewegung versteht,
der wird diese Wendung
der Dinge begrüßen, nicht
bedauern. Was unsere Zeit
verlangt, ist eine künst-
lerische Kultur, die wie
in früheren Jahrhunderten
allen Erzeugnissen der ma-
teriellen Arbeit zugleich
den gemeinsamen Charakter
einer unserer geistigen Bil-
dung ebenbürtigen Bildung
des Auges verleiht. Der
gute Geschmack als Aus-
druck der natürlichen
Freude an Arbeit und
Leben soll wieder Gemein-
gut der modernen Mensch-
heit werden. Es ist klar,
INNEN-DEKORATION
erkannten, in der Minder-
zahl. — Inzwischen ist aber
die moderne Bewegung in
eine Krisis eingetreten.
Der revolutionäre Geist
ihrer ersten Entwicklungs-
epoche hat sich beruhigt.
Das Einfache, Natürliche,
Selbstverständliche, das sich
aus den realen Bedingungen
des Gebrauchs, des Mate-
rials und der Konstruktion
ergibt, siegt mehr und mehr
über das Phantastisch-Will-
kürliche. Auf die roman-
tische Epoche der moder-
nen Kunst folgt eine
rationalistische. Was sich
schon auf der Dresdner Aus-
stellung von 1907 angekün-
det hatte, ist auf den Aus-
stellungen des Jahres 1908
Tatsache geworden. Nicht
mehr die Originalität ist
Trumpf, sondern der Ge-
schmack. Die überquel-
lende Fruchtbarkeit an
neuen Gedanken, welche
die moderne Bewegung in
ihren ersten Jahren ausge-
zeichnet hatte, hat aufge-
LUDW. HOFFMANN BERLIN. HALLE U. VORHALLE IM ERDGESCHOSS.
hört. Wir dürfen in den
nächsten Jahrzehnten nach
menschlichem Ermessen
von ihr wohl kaum mehr
neue Offenbarungen von
überraschender Schlagkraft
erwarten. — Vielen mag
das nun freilich als ein
Zeichen des Stillstandes
erscheinen, das den Anfang
vom Ende bedeutet. Wer
aber Ziel und Sinn der mo-
dernen Bewegung versteht,
der wird diese Wendung
der Dinge begrüßen, nicht
bedauern. Was unsere Zeit
verlangt, ist eine künst-
lerische Kultur, die wie
in früheren Jahrhunderten
allen Erzeugnissen der ma-
teriellen Arbeit zugleich
den gemeinsamen Charakter
einer unserer geistigen Bil-
dung ebenbürtigen Bildung
des Auges verleiht. Der
gute Geschmack als Aus-
druck der natürlichen
Freude an Arbeit und
Leben soll wieder Gemein-
gut der modernen Mensch-
heit werden. Es ist klar,